Akute Belastungsstörung verstehen und bewältigen: Symptome, Dauer & Therapie

Stell dir vor, du erlebst etwas, das dein Leben von einem Moment auf den anderen erschüttert – ein Unfall, ein Überfall oder der plötzliche Verlust eines geliebten Menschen. Viele Menschen spüren nach solchen Ereignissen Angst, Schlafstörungen oder eine innere Unruhe. Das ist völlig normal. Doch wenn die Beschwerden besonders stark sind und dich im Alltag handlungsunfähig machen, könnte es sich um eine akute Belastungsstörung handeln. Hier erfährst du, was hinter der Diagnose steckt, welche Symptome typisch sind, wie lange die akute Belastungsstörung dauern kann und welche Behandlung dir hilft, wieder in Balance zu kommen.
Definition: Was ist eine akute Belastungsstörung?
Eine akute Belastungsstörung (ABS) ist eine besondere Form der Stressreaktion, die nach einem extremen, meist traumatischen Erlebnis auftreten kann. Typisch ist, dass die Symptome innerhalb eines Monats nach dem Ereignis einsetzen – und den Alltag stark beeinträchtigen. Das betrifft Menschen, die als Zeuge ein Trauma erleben und Betroffene selbst.
Im Unterschied zu einer „normalen“ Stressreaktion hält die akute Belastungsstörung länger an und kann deutlich schwerwiegender sein.
Eine akute Belastungsstörung ist eine ernstzunehmende Reaktion auf ein extremes Erlebnis, die meist zeitlich begrenzt ist. In der medizinischen Fachsprache gibt es unterschiedliche Klassifikationen, die beschreiben, wie Erkrankungen eingeordnet werden:
- Akute Belastungsreaktion (F43.0): Hier liegt der Fokus auf vorübergehenden Zuständen wie Schock, emotionaler Betäubung, Desorientierung oder starker Unruhe direkt nach dem Trauma (ICD-10).
- Acute Stress Disorder / akute Stressstörung: Dabei stehen eher die einzelnen Symptomgruppen im Vordergrund – wie intrusive Erinnerungen, Vermeidung, Dissoziation, innere Anspannung und negative Stimmung (ICD-11 und DSM-5).
Die ICD („International Classification of Diseases“) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine internationale Klassifikation von Krankheiten, die auch in Deutschland zur Diagnose genutzt wird. Die aktuelle Fassung ist die ICD-11, in vielen Praxen wird aber noch die ICD-10 angewendet. Das DSM („Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“) ist ein ähnliches System, das vor allem in den USA verwendet wird.
Was sind die Auslöser für eine akute Belastungsstörung?
Die akute Belastungsstörung entsteht fast immer nach außergewöhnlich belastenden Situationen. Typische Auslöser sind zum Beispiel:
- Unfälle, etwa Verkehrsunfälle oder schwere Arbeitsunfälle
- Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Brände oder Stürme
- Gewalterfahrungen – körperlich, seelisch oder sexualisiert
- Plötzliche Verluste, wie zum Beispiel der unerwartete Tod eines nahestehenden Menschen
Doch es sind nicht nur „große Katastrophen“, die eine akute Belastungsreaktion auslösen können. Auch andauernde Belastungen, massive Konflikte oder wiederholte Angstsituationen können die Psyche so stark beanspruchen, dass eine akute Belastungsstörung entsteht.
Ob jemand eine akute Belastungsstörung entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab. Folgende Fragen können beispielsweise Hinweise darauf geben:
- Hast du schon einmal ein Trauma erlebt?
- Gibt es psychische Vorerkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen?
- Wie stabil ist dein soziales Netz?
- Wie hoch ist deine individuelle Stressanfälligkeit?
Jeder Mensch reagiert unterschiedlich. Was für den einen „verkraftbar“ scheint, kann bei anderen heftige Symptome auslösen. Das hat nichts mit Stärke oder Schwäche zu tun – es ist eine normale Reaktion auf eine extreme Belastung.
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Akute Belastungsstörung: Symptome
Wenn du eine akute Belastungsstörung hast, fühlt es sich oft so an, als ob dein Körper und dein Kopf ständig in Alarmbereitschaft sind.
Häufige Anzeichen sind etwa:
- Intrusionen: Bilder, Gedanken oder Albträume drängen sich immer wieder auf – manchmal so real, dass es sich wie ein Flashback anfühlt, Betroffene haben das Gefühl, dass das traumatische Ereignis wieder eintritt
- Vermeidung: Alles, was dich an das Trauma erinnert – Orte, Gespräche, sogar bestimmte Gerüche – meidest du, so gut es geht.
- Dissoziation: Manche Betroffene beschreiben das Gefühl, wie „neben sich zu stehen“, als wäre die Welt um sie herum unwirklich oder die Erinnerung wie ausgelöscht. Der Realitätssinn ist verändert und Betroffene können eine Unfähigkeit entwickeln, sich an einen wichtigen Teil des traumatischen Ereignisses zu erinnern.
- Ständige Anspannung: Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Konzentrationsprobleme und Schlafstörungen sind typisch.
- Körperliche Symptome: Herzrasen, Schweißausbrüche, Übelkeit oder Zittern zeigen, wie sehr dein Körper unter Stress steht.
- negative Stimmung: Unfähigkeit, positive Emotionen zu erleben
Wichtig: Solche Symptome treten kurz nach dem traumatischen Ereignis auf und können sehr beängstigend wirken – auch wenn sie medizinisch erklärbar und in den meisten Fällen vorübergehend sind.
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Akute Belastungsstörung: Dauer und Verlauf
Vielleicht fragst du dich: Wie lange dauert eine akute Belastungsstörung eigentlich? In den meisten Fällen verschwinden die Symptome innerhalb von Tagen bis hin zu wenigen Wochen. Spätestens nach vier Wochen sollte aber eine deutliche Besserung spürbar sein.
Manchmal heilt die Störung spontan aus, besonders wenn Betroffene Unterstützung aus ihrem Umfeld bekommen. Allerdings kann sich die akute Belastungsstörung in eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln, wenn die Symptome nicht abklingen oder sich sogar verstärken.
Deshalb ist es wichtig, die Beschwerden ernst zu nehmen – auch dann, wenn sie „nur“ wenige Wochen dauern.
Diagnose: Wie wird eine akute Belastungsstörung festgestellt?
Wenn du den Verdacht hast, dass du eine akute Belastungsstörung haben könntest, ist der wichtigste Schritt: Sprich mit deinem Arzt oder deiner Therapeutin.
So läuft die Diagnose ab:
- Gespräch (Anamnese): Du erzählst, was passiert ist, welche Symptome du hast und wie lange sie bestehen.
- Kriterien nach ICD/DSM: Die Fachleute prüfen, ob deine Beschwerden die diagnostischen Kriterien erfüllen.
- Screening-Tests: Fragebögen wie die Acute Stress Disorder Scale (ein standardisierter Fragebogen, der typische Symptome nach einem Trauma erfasst) können unterstützen.
- Abgrenzung zu anderen Störungen: Wichtig ist, eine PTBS, eine Anpassungsstörung oder andere psychische Erkrankungen auszuschließen.
Ganz wichtig: Versuche bitte nicht, dich selbst zu diagnostizieren. Entscheidend ist, dass du dir Hilfe suchst, wenn du merkst: „Allein komme ich hier nicht mehr raus.“
Akute Belastungsstörung: Therapie und Behandlungsmöglichkeiten
Erkennst du dich in all den genannten Punkten wieder oder weißt schon sicher, dass du unter einer akuten Belastungsstörung leidest? Bitte nicht in Panik verfallen! Die gute Nachricht: Die Heilungschancen sind sehr gut. Mit der richtigen Unterstützung verschwinden die Symptome oft vollständig. Wichtig für die Heilung ist eine geschützte Umgebung und die Gewissheit, dass das Ereignis nicht wieder auftritt. Auch Selbstfürsorge unterstützt die Heilung.
Die ersten Schritte direkt nach dem Trauma umfassen:
- Sicherheit herstellen – körperlich und emotional
- Zur Ruhe kommen – keine zusätzlichen Belastungen
- Über das Erlebte sprechen, wenn du das möchtest
- Besonders wirksam: traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
- Hier lernst du, das Trauma zu verarbeiten und die belastenden Erinnerungen in einen sicheren Rahmen einzuordnen
- Therapiemanuale (standardisierte Leitfäden, die Schritt für Schritt durch eine bewährte Behandlung führen) geben einen klaren roten Faden, was Betroffenen Halt geben kann
Tipps zur Selbsthilfe und Eigenfürsorge
Auch wenn eine akute Belastungsstörung sehr belastend sein kann, gibt es Dinge, die du selbst tun kannst, um dich in dieser schwierigen Zeit zu stabilisieren. Wichtig ist: Sei geduldig mit dir – es ist völlig normal, wenn du dich im Moment überfordert, erschöpft oder „wie neben dir stehend“ fühlst.
Diese Strategien können dir helfen:
- Sprich mit vertrauten Menschen: Teile deine Gefühle und Gedanken mit Familienmitgliedern, guten Freundinnen und Freunden oder anderen Vertrauenspersonen. Allein darüber zu reden, was dir passiert ist, kann entlasten und verhindern, dass du dich isolierst.
- Halte eine gewisse Alltagsstruktur aufrecht: Versuche, regelmäßige Schlaf- und Essenszeiten einzuhalten. Ein stabiler Tagesrhythmus vermittelt Sicherheit und Normalität – auch wenn du dich innerlich instabil fühlst.
- Gönn dir Pausen, aber bleib in Kontakt mit der Welt: Ruhe und Schonung sind wichtig, doch vollständiger Rückzug kann das Gefühl der Isolation verstärken. Plane kleine, angenehme Aktivitäten ein – ein Spaziergang, ein Telefonat, Musik hören.
- Entspannungs- und Atemübungen: Achtsamkeitsübungen, Meditation oder bewusstes Atmen können dir helfen, dein Nervensystem zu beruhigen. Schon wenige Minuten tiefer, langsamer Atemzüge senken Anspannung und Stresshormone.
- Bewegung nutzen: Körperliche Aktivität – egal ob Spazierengehen, Yoga oder leichtes Training – baut Stress ab, verbessert den Schlaf und hilft, angespannte Gefühle loszulassen.
- Schreibe deine Gedanken auf: Ein Tagebuch oder Notizen können helfen, Chaos im Kopf zu ordnen. Manchmal ist es einfacher, Dinge aufzuschreiben, als sie sofort auszusprechen.
- Vermeide Alkohol, Drogen oder übermäßigen Koffeinkonsum: Sie scheinen kurzfristig zu beruhigen, verstärken aber langfristig die Symptome und verhindern eine gesunde Verarbeitung.
- Sei nachsichtig mit dir selbst: Erwarte keine „schnelle Rückkehr zur Normalität“. Dein Körper und deine Psyche haben etwas Extremes erlebt – Heilung braucht Zeit. Kleine Schritte sind völlig in Ordnung.
Wichtig: Selbsthilfe ist wertvoll, aber sie ersetzt keine Therapie, wenn deine Symptome sehr stark sind oder länger als ein paar Wochen bestehen. Ist dies der Fall, solltest du dir unbedingt professionelle Unterstützung holen – sei es durch deine Hausärztin, einen Psychotherapeuten oder eine Beratungsstelle. Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein wichtiger Schritt auf deinem Weg zurück in die Stabilität.
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Häufige Fragen zur akuten Belastungsstörung
Kann eine akute Belastungsstörung auch ohne Trauma entstehen?
Nein, per Definition tritt sie nur nach einem belastenden oder traumatischen Ereignis auf. Normale Stressreaktionen ohne konkretes Trauma gelten nicht als akute Belastungsstörung.
Wer stellt die Diagnose einer akuten Belastungsstörung?
Die Diagnose erfolgt in der Regel durch Fachärztinnen für Psychiatrie, Psychotherapeuten oder in der Hauspraxis, die bei Bedarf weiter überweisen.
Was ist der Unterschied zwischen einer akuter Belastungsstörung und einer posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)?
Die akute Belastungsstörung tritt unmittelbar nach dem Trauma auf und dauert meist nur wenige Wochen. Wenn die Symptome länger bestehen oder stärker chronifizieren, kann sich eine PTBS entwickeln.
Kann man einer akuten Belastungsstörung vorbeugen?
Vorbeugen im engeren Sinne ist schwierig. Allerdings helfen stabile soziale Kontakte, gesunde Stressbewältigung und frühzeitige psychologische Unterstützung nach einem Trauma, das Risiko zu verringern.
Carina Lethe
Psychologin bei der DAK-Gesundheit
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