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Rückenleiden sind die Volkskrankheit Nummer 1: Im Laufe des Lebens hat beinahe jeder Deutsche mindestens einmal damit zu tun. Trotzdem ist Rückenschmerz kaum mehr als Schnupfen, der kommt und geht, sagt der Sportwissenschaftler und Bewegungsexperte Prof. Dr. Klaus Pfeifer von der Universität Nürnberg-Erlangen. Ein Gespräch mit dem Experten über die Angst vor dem Schmerz und das Allheilmittel Bewegung.
Prof. Dr. Klaus Pfeifer von der Universität Nürnberg-Erlangen
Herr Professor Pfeifer, die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Mindestens 80 Prozent der Deutschen haben Rücken. Woran liegt’s?
Klaus Pfeifer: Meistens liegt das am Bewegungsmangel. Als wir noch Jäger und Sammler waren, mussten sich die Menschen ständig bewegen, Essen auftreiben, vor Feinden fliehen, um zu überleben. In den wenigen Bewegungspausen haben sie sich geschont. Das ist in unseren Genen so programmiert. Heute müssen wir uns aber kaum noch bewegen. Unsere Lebensumstände sind andere. In der Folge bewegen wir uns zu wenig, und das bekommt nicht nur der Rücken zu spüren. Bewegungsmangel ist die Ursache für viele der heute weit verbreiteten nicht ansteckenden Krankheiten.
Das heißt, wenn wir am Bildschirm arbeiten und alles Lebensnotwendige online shoppen, sind wir im evolutionär programmierten Energiesparmodus?
Pfeifer: So könnte man das ausdrücken, ja. Wir müssen uns selbst zur Bewegung motivieren. Zum Überleben brauchen wir die Bewegung nicht mehr, aber um unseren Körper gesund zu halten.
Expertinnen und Experten wie Sie sind sich seit längerem einig, dass Rückenschmerzen keine bedrohliche Erkrankung sind. Warum haben so viele Menschen trotzdem Angst davor?
Pfeifer: Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen tut so ein Hexenschuss wirklich weh und der Schmerz lässt sich nur schwer lokalisieren. Außerdem kann es sein, dass man in der gesamten Bewegung eingeschränkt ist. Wenn ich mir einen Finger verstauche, dann ist das eine klare Sache. Rückenschmerzen kommen meistens wie aus dem Nichts. Das ist ein bedrohliches Szenario. Zum anderen wurde über viele Jahrzehnte die Botschaft transportiert, dass Rückenschmerzen auf einen problematischen Schaden zum Beispiel an den Bandscheiben hinweisen. Der Rücken ist gar nicht so verletzlich, wie er oft dargestellt wird. Meistens kommt der Schmerz gar nicht von Knochen und Bandscheiben, sondern von kleinen Muskeln und Bändern, die man sich auch mal zerren kann. So, wie dieser Schmerz im Alltag auftaucht, als akuter Schmerz, verschwindet er auch wieder.
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Das heißt, wir machen uns alle zu viel Sorgen?
Pfeifer: Ja, durchaus. Es fehlt oft an den Informationen, die die Menschen in die Lage versetzen, selbst einzuschätzen, ob ihr Schmerz problematisch ist oder nicht. Stattdessen lesen wir häufig von der Verletzlichkeit des Rückens, von schlechter Körperhaltung, falschem Heben, zu häufigem Sitzen, schlechten Matratzen. Als Auslöser chronischer Rückenschmerzen – und nur die sind das Problem – konnte aber keiner dieser Punkte in wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen werden. Auch ein Zusammenhang von schwerer körperlicher Arbeit und chronischem Rückenleiden lässt sich nicht prinzipiell herstellen. Gezeigt werden konnte allerdings in vielen Studien, dass regelmäßige Bewegung die natürlichen Körperfunktionen erhält.
Wir müssen also etwas gegen den Schmerz tun, bevor er auftritt?
Pfeifer: Ja, absolut. Vor allem um zu verhindern, dass akuter Rückenschmerz chronisch wird.
Wozu raten Sie aus Ihrer Sicht als Sportwissenschaftler?
Pfeifer: Natürlich kann ich jetzt sagen, du musst regelmäßig Sport treiben, Angebote gibt es viele. Besser ist es, sich an die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und die Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu orientieren. Dabei gilt zunächst, dass jedes mehr an Bewegung gut ist. Mit möglichst mindestens 150 Minuten moderater oder 75 Minuten intensiver ausdauerorientierter Bewegung pro Woche und zweimal pro Woche Muskeltraining für normal gesunde Erwachsene als Ziel tut man sich dann richtig viel Gutes. Ob das Joggen oder intensives Staubsaugen ist, jeden Tag eine halbe Stunde spazieren gehen oder dreimal die Woche Yoga, spielt erst einmal keine Rolle. Jeder Einzelne muss für sich herausfinden, welche Bewegung ihm guttut und gegen Schmerzen im Kreuz hilft.
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Bleibt das Motivationsproblem…
Pfeifer: Das ist tatsächlich ein Problem. Wichtig ist, sich die positiven Erfahrungen mit Sport und Bewegung in Erinnerung zu rufen. Dieses gute Gefühl lässt sich auch im stressigem Alltag immer wieder aktivieren. Hilfreich ist es außerdem, gleich aktiv zu werden, wenn einem der Gedanke kommt, sich mal wieder mehr zu bewegen. Als Erwachsene können wir uns durchaus von der Technik unterstützen lassen, zum Beispiel mit Apps und Fitnesstrackern, um mit positiven Erfahrungen und regelmäßigen Rückmeldungen die Bewegung wieder zur Gewohnheit werden zu lassen. Die Motivation kommt dann daher, dass wir uns an das gute Gefühl nach dem strammen Spaziergang erinnern, nicht aus dem Gedanken: Ich muss etwas für meinen Rücken tun.
Zur Person:
Klaus Pfeifer ist Professor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Bewegung und Gesundheit an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Mitglied in zahlreichen Expert*innengruppen zum Thema, etwa in der Gruppe „Bewegungsförderung im Alltag“ des Bundesministeriums für Gesundheit und im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Verbands für Gesundheitssport und Sporttherapie (DVGS e.V.).
Global action plan on physical activity 2018–2030: more active people for a healthier world. Geneva: World Health Organization; 2018. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO
https://www.who.int/news-room/initiatives/gappa/action-plan
Lieberman D (2021). Exercised: Why Something We Never Evolved to Do Is Healthy and Rewarding
Lieberman D (2014). The Story of the Human Body: Evolution, Health, and Disease
Pfeifer, K. (2007). Rückengesundheit – Neue aktive Wege, Köln