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Cushing: Sehr selten, risikoreich – und oft zu spät erkannt

Symbolbild Cushing-Syndrom: Junge Frau blickt in den Spiegel

Aufgedunsenes Gesicht, ein stämmiger Körper bei gleichzeitig schlanken Armen und Beinen, rötliche Streifen auf der Haut: Das Cushing-Syndrom gehört zu den sehr seltenen Krankheiten und trifft häufig jüngere Menschen zwischen 20 und 50 Jahren. Aufgrund unspezifischer Symptome und zu wenig Fachärzten wird es gerade in Deutschland oft viel zu spät erkannt. Betroffene durchlaufen dadurch eine gefährliche Odyssee. Ausgerechnet ein TikTok-Trend holte die Erkrankung jetzt ins Rampenlicht.

Cushing: Sehr selten, aber gefährlich

Das Cushing-Syndrom (gesprochen: Kusching) gehört in die Kategorie der seltenen Krankheiten. Selten ist eine Erkrankung, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen in der EU betroffen sind. Beim Morbus Cushing sind es sogar nur 5 bis 10 von einer Million Menschen, 80 Prozent davon sind Frauen. „Bei der genetisch bedingten Erkrankung produziert der Körper dauerhaft zu große Mengen des Hormons Cortisol“, erklärt Professor Dr. Martin Reincke, Endokrinologe und Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV der LMU München.

Dieser Botenstoff ist neben Adrenalin eines der wichtigsten Stresshormone des Körpers – und konnte in Urzeiten überlebenswichtig sein. Begegnete ein Jäger damals einem Feind, war die Frage: Kampf oder Flucht? Für beides braucht der Körper viel Energie und mobilisiert deshalb große Mengen an Cortisol. Es setzt Zucker aus den Körperspeichern frei, macht uns kraftvoll und hellwach. Zudem beschleunigt es den Puls, steigert den Blutdruck und erhöht die Muskelspannung. Gleichzeitig sinkt das Schlafbedürfnis und die Immunabwehr wird gedrosselt. Sobald die Gefahr vorbei ist, sinkt der Cortisolspiegel im Körper wieder, Ruhe und Erholung stehen dann auf dem Programm. Diese Muster hat unser Körper bis heute beibehalten. In Phasen von Stress oder Anspannung, beispielsweise bei einem wichtigen Meeting im Job, werden große Mengen an Cortisol ausgeschüttet, die uns leistungsfähig machen. Danach sinkt der Pegel normalerweise wieder. Beim Cushing-Syndrom passiert jedoch genau das nicht, es wird permanent zuviel Cortisol produziert. Der Körper befindet sich in einem dauerhaften Alarm-Modus. Das kann ernsthafte Folgen für die Gesundheit haben.

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Die Ursachen für das Dauer-Hormon-Hoch

Ärzte unterscheiden zwischen einem äußerlichen (exogenen) und einem innerlichen (endogenen) Cushing-Syndrom. Die exogene Variante ist viel häufiger und entsteht durch hohe Dosen von cortisonhaltigen Medikamenten, die langfristig zum Einsatz kommen. „Wer über einen kurzen Zeitraum von bis zu drei Wochen cortisonhaltige Salben oder Augentropfen verschrieben bekommt, muss jedoch keine Angst davor haben, dass das ein Cushing-Syndrom auslösen könnte“, so Reincke.

Schuld am endogenen Cushing ist in 60 bis 70 Prozent der Fälle ein gutartiger Tumor an der Hirnanhangdrüse (Hypophyse), eine erbsen- bis kirschgroße Ausstülpung an der Unterseite des Gehirns. Die Wucherung wird als Hypophysenadenom bezeichnet und produziert zu viel des sogenannten adrenokortikotropen Hormons (ACTH), das wiederum die Nebennieren zu einer vermehrten Cortisolproduktion anregt. Auch gutartige oder bösartige Tumoren der Nebennieren können zu einem Dauerhoch an Cortisol führen. Eher selten sind Tumore beispielsweise der Lunge, der Bauchspeicheldrüse oder der Schilddrüse, die ebenfalls ACTH produzieren, was zu einer verstärkten Cortisolproduktion der Nebennieren führt.

Wie sehen die Symptome aus?

Eines der klassischen Cushing-Symptome ist das runde, aufgedunsene Vollmond-Gesicht. Charakteristisch ist auch eine Gewichtszunahme am Rumpf, besonders im Bereich von Bauch und Hüften. Arme und Beine dagegen sehen schlank bis dünn aus. Zusätzlich kann es zu Dehnungsstreifen an Bauch, Armen und Achseln kommen. Sie sind deutlich breiter als die normalen Dehnungsstreifen aus der Pubertät oder Schwangerschaft und schimmern durch kleinere Einblutungen rötlich. Durch diese erhöhte Gefäßbrüchigkeit entstehen auch häufiger Blutergüsse, Wunden heilen schlechter.

Der permanente Cortisol-Alarm im Körper kann neben einer dünnen, pergamentartigen und verletzlichen Haut auch zu Akne und einer vermehrten Körperbehaarung führen. Oft kommt es auch zu einer Muskelschwäche, die besonders Gesäß und Oberschenkel betrifft. Betroffene können plötzlich schlechter Treppensteigen oder haben beim Aufstehen aus der Hocke Probleme. Weitere schwerwiegende Folgen eines Morbus Cushing können sein:

  • Psychische Probleme wie Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Ängste
  • Gravierende Stoffwechsel- und Kreislauferkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen
  • Knochenmasseverlust (Osteoporose) mit verstärktem Risiko von Brüchen der Wirbelkörper
  • Eine lebensbedrohliche Blutvergiftung (Sepsis) durch die unterdrückte Immunabwehr
  • Sozioökonomische Folgen wie Arbeitslosigkeit oder Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens
     


Hype oder Humbug?: Cortisol Face

Ein bizarrer Trend: Auf TikTok behaupten selbsternannte „Experten“, dass Alltagsstress zu einem rundlichen Gesicht, auch Cortisol Face genannt, führen würde. Zahlreiche Videos zeigten die teilweise unglaubliche Wandlung von aufgedunsenen Gesichtern in starken Stressphasen – und die deutlich schmalere Version danach. Nicht wenige Follower äußern in ihren Kommentaren sogar die Befürchtung am Cushing-Syndrom erkrankt zu sein.

Dazu Professor Martin Reincke: „Das ist Unsinn, die stressbedingten Cortisolausschüttungen sind viel zu gering, als dass sie zu einem Vollmondgesicht wie beim Cushing führen könnten. Oft stecken dahinter einfach Gewichtsschwankungen mit Fettablagerungen, die sich auch im Gesicht zeigen.“ 


Cushing oft viel zu spät erkannt

Das Cushing-Syndrom ist eine sehr seltene, aber auch eine sehr gefährliche Erkrankung. Unbehandelt liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei 50 Prozent. Umso wichtiger ist es, dass es frühzeitig erkannt und behandelt wird. Während es laut der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) im Schnitt weltweit fast drei Jahre (34 Monate) dauert, bis die richtige Diagnose gestellt wird, sind es in Deutschland durchschnittlich 56 Monate, also fast fünf Jahre! Die Gründe: Weil die Erkrankung so extrem selten vorkommt, ist vielen Hausärzten das Krankheitsbild oft nicht bekannt. Zudem zeigen die Betroffenen selten alle Symptome der Erkrankung. Und einige davon wie etwa eine Gewichtszunahme am Bauch, hoher Blutdruck oder Stimmungsschwankungen sind sehr unspezifisch und können viele verschiedene Gründe haben. „Zwei bis drei der elf klassischen Cushing-Symptome sollten für einen konkreten Verdacht vorliegen. Besonders hellhörig sollten Ärzte sein, wenn diese altersuntypisch sind, wie etwa eine Osteoporose bei einer 30-jährigen Frau“, sagt Martin Reincke.

Eine weitere Crux: In Deutschland mangelt es im internationalen Vergleich an Endokrinologen, die auf solche Erkrankungen spezialisiert sind. Immerhin betreiben einige Kliniken inzwischen Spezial-Ambulanzen auch für Cushing-Patienten und seit 2012 gibt es ein Cushing-Register. Sein Ziel: Mehr Aufmerksamkeit für diese Erkrankung, aber auch eine Verbesserung der Diagnose-Methoden, der medizinischen Versorgung und bessere Therapien zur Verhinderung von Folgeschäden.

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Diagnose von Morbus Cushing

Besteht ein Verdacht auf das Cushing-Syndrom wird der Arzt neben einer Erhebung der Krankengeschichte eine gründliche körperliche Untersuchung vornehmen. Erhärtet sich die Diagnose, gibt ein sogenannter Dexamethason-Hemmtest weitere Klarheit. Dabei nimmt man gegen 23 Uhr eine Tablette mit dem künstlichen Kortison Dexamethason ein. Am nächsten Morgen wird der Cortisol-Spiegel im Blut gemessen. Reincke: “Bei gesunden Menschen sorgt das Dexamethason dafür, dass der Körper kein Cortisol mehr bildet, der Pegel im Blut ist deshalb deutlich erniedrigt. Bei einem Cushing-Syndrom ist dieser Feedback-Mechanismus gestört und der Cortisol-Wert deutlich erhöht.“

Weitere Möglichkeiten sind ein Urin- oder ein Speicheltest. Werden dabei erhöhte Cortisol-Werte nachgewiesen, können zusätzliche Tests die Form des Cushing-Syndroms (endogen oder exogen) bestimmen. Sind Tumore die wahrscheinliche Ursache, helfen bildgebende Verfahren wie eine Magnetresonanztomografie (MRT) der Hirnanhangsdrüse oder eine Computertomografie (CT) der Nebennieren bei der Suche nach dem Auslöser. Ergänzt werden können sie mit einer sogenannten Positronen-Emissions-Tomographie (PET) von anderen Organen, die dreidimensionale Abbildungen von Stoffwechselvorgängen im Körper möglich macht.

Wie wird die Krankheit behandelt?


Bei einem exogenen Cushing-Syndrom werden Kortisonpräparate ausgeschlichen. Das bedeutet, dass die Dosis über Wochen und Monate langsam reduziert wird, bevor die Präparate ganz abgesetzt werden.

“Für viele Erkrankungen wie Rheuma oder Asthma stehen heute auch kortisonfreie, gut wirksame Alternativ-Präparate zur Verfügung“, so Reincke. Bei der endogenen Variante werden Tumore operativ entfernt, bösartige teilweise auch bestrahlt oder mit einer Chemotherapie behandelt. Falls das aus unterschiedlichen Gründen nicht möglich ist, kommen Medikamente zum Einsatz, die die Cortisolproduktion in der Nebenniere hemmen. Letztes Mittel, wenn andere Therapie nicht greifen oder möglich sind: Die Entfernung beider Nebennieren. Dann müssen Hormone, besonders das Cortisol, allerdings lebenslang ersetzt werden.


Prof-Dr.-Martin-Reincke

Martin Reincke

Professor Dr.

Professor Dr. Martin Reincke ist Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, Inhaber des Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie sowie Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologe/Diabetologe. Er hat sich unter anderem auf das Cushing-Syndrom spezialisiert.

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