DAK-Pflegereport 2025: Pflege vor Ort – zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Perspektiven für ein verlässliches Pflegesystem

Struktur und Methoden
Bevölkerungsbefragung: Zwischen dem 31. Oktober und dem 14. November 2024 führte das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) (https://www.ifd-allensbach.de/) eine Bevölkerungsbefragung durch. Dabei wurden insgesamt 4580 Personen zwischen 16 und 70 Jahren im gesamten Bundesgebiet über einen Online-Fragebogen befragt.
Routinedatenanalyse: Die OptiMedis AG (https://optimedis.de/) untersuchte potenzielle Auswirkungen der Pflegeberatung auf den weiteren Pflegeverlauf. Genutzt wurden hierfür Abrechnungsdaten der DAK-Gesundheit aus den Jahren 2017 bis 2024, sowie Informationen zu den durchgeführten Pflegeberatungen aus dem atacama-System (Dokumentationssoftware der Pflegeberaterinnen und -berater) der DAK-Gesundheit.
Recherche & Fokusgruppengespräche: AGP Sozialforschung führte eine Recherche zu Care und Case Management im Kontext von Pflegeberatung und Pflegestützpunkten durch. Darauf aufbauend fand in jedem Bundesland ein Fokusgruppengespräch statt. Die Fokusgruppengespräche wurden mit dem Ziel geführt, die Programmatik PflegestützpunktPlus, vor dem Hintergrund der 16 Variationen von Pflegeberatung und Pflegestützpunkten, bzw. Pflegenetzen zu diskutieren und weiterzuentwickeln.
Perspektivworkshop: Am 16. Januar 2025 fand ein Perspektivworkshop in der Zentrale der DAK-Gesundheit statt, in dessen Rahmen Thesen auf der Grundlage der Befunde des DAK-Pflegereportes 2025 diskutiert wurden, sowie Perspektiven für eine künftige Ausgestaltung von Pflegeberatung und Pflegestützpunkten im Sinne von PflegestützpunktPlus herausgearbeitet wurden.
Ausblick & Empfehlungen vor dem Hintergrund der Teilstudien von Prof. Dr. habil. Thomas Klie.
Ergebnisse des Pflegereports 2025
Zentrale Befunde der Bevölkerungsbefragung
Über zwei Drittel der Bevölkerung sind der Meinung, dass das deutsche Pflegesystem reformiert werden müsste.
Abbildung 1: Das Pflegesystem müsste umfassend reformiert werden: verbreiteter Eindruck, unabhängig vom eigenen Einblick in die Pflege (Haumann 2025, S. 54)
- Zentrale Wünsche einer Reform wären:
- Weniger Bürokratie und mehr Kooperation der medizinischen und pflegerischen Angebote vor Ort.
- Mehr Unterstützung für pflegende Angehörige und eine bessere ärztliche Versorgung.
- Günstigere Kosten für die Pflege.
Anlaufstellen für (Pflege-)Beratung und Case Management sind unbekannt, obwohl sie erwünscht sind und die Pflegesituation unterstützen.
- Nach erfolgreicher Beratung sind die Angehörigen mit der Pflegesituation eher zufrieden.
Die Mehrheit der Befragten äußert Interesse an Case Management-Leistungen.
Abbildung 2: Nach einer erfolgreichen Beratung sind Angehörige mit der Pflegesituation eher zufrieden (Haumann, 2025, S. 48)
Zentrale Befunde der Routinedatenanalyse
Die Routinedaten zeigen: Pflegeberatung wirkt!
- Der Großteil der Versicherten wurde sowohl vor (rund 73%) als auch nach (rund 89%) der Erstberatung von Angehörigen gepflegt.
- Veränderungen im Pflegegrad nach Erstberatung: In der Tendenz führte Pflegeberatung zu einem höheren Pflegegrad, eine Runterstufung ist sehr selten.
Abbildung 3: Veränderungen im Pflegegrad nach der Erstberatung (Lewin et al., 2025, S. 66)
- Beratung hat einen relevanten Einfluss auf die Nutzung bestehender Unterstützungsangebote.
- Besonders ausgeprägt waren diese Unterschiede bei Leistungen, die aktiv beantragt oder organisiert werden müssen, wie Hilfsmittel, Entlastungsleistungen oder Verhinderungspflege.
- Insgesamt bestärkten die Ergebnisse die Annahme, dass Pflegeberatung nicht nur rein informativ wirkt, sondern auch konkret dazu beiträgt, dass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen vorhandene Angebote besser nutzen.
Abbildung 4: Entwicklung der Inanspruchnahme zusätzlicher ambulanter Betreuungs- und Entlastungsleistungen vor und nach dem Pflegebeginn, differenziert nach Beratungserhalt (Lewin et al., 2025, S. 80)
Zentrale Befunde der Recherchen und Fokusgruppengespräche
Herausforderungen und Potenziale – O-Töne aus den Fokusgruppengesprächen
- Die Teilnehmenden charakterisierten die Versorgungssituation in den Fokusregionen auf einem Spektrum zwischen
- gerade ausreichend, aber zunehmend unter Druck oder
- als angespannt bis unzureichend.
- Beratung und Case Management sind notwendig, um pflegende An- und Zugehörige sowie alleinstehende Menschen mit Pflegedarf zu entlasten und um in komplexen Bedarfslagen zu unterstützen.
- Case Management verbessert die Effizienz des Gesamtsystems und ist daher aufgrund der zukünftigen Herausforderungen der Langzeitpflege unabdingbar.
- Care Management und Netzwerkarbeit werden sehr unterschiedlich umgesetzt.
- Über alle Netzwerkformen hinweg ist die Beteiligung aller relevanten Akteure nicht (immer) gegeben.
- Nicht aus allen Netzwerken fließen Informationen zurück auf die Ebene der kommunalen (Pflege-)Planung.
- Kommunale (Pflege-)Planung wird bundesweit sehr unterschiedlich umgesetzt.
- Die systematische Nutzung von Dokumentationsdaten aus Beratung und Case Management wird bisher nur in wenigen Regionen umgesetzt.
Perspektivworkshop
Perspektiven der Praxis und der Politik im gemeinsamen Dialog
- Es sind die Bedingungen vor Ort, die für die Sicherstellung der Pflege maßgeblich sind.
- Die Beratung von auf Pflege angewiesenen Menschen bedarf einer zielgruppen- und bedarfsspezifischen Ausrichtung und Differenzierung.
- Pflegestützpunkte spielen eine zentrale Rolle bei der Etablierung von Kooperationen, dem Aufbau und der Pflege von Netzwerken sowie einer sektorenübergreifenden Zusammenarbeit.
- Angesichts regional immer deutlicher werdender Infrastrukturdefizite erscheint eine verbindliche, kommunal und regional verankerte Pflegestrukturplanung unumgänglich.
- Der zu erwartende Mangel an (Fach-)Pflegepersonen gefährdet eine bedarfsgerechte Versorgung.
- Ohne informelle und zivilgesellschaftliche Formen der Unterstützung wird der künftige Bedarf an Sorgearbeit und Pflege nicht gewährleistet werden können.
- Die bundes- und landesrechtlichen Vorgaben sind maßgeblich für ein wirksames Care und Case Management in der Fläche.
- Die Programmatik PflegestützpunktPlus verweist auf eine Care und Case Management-basierte sektorenübergreifende Versorgungsstrategie.
Ausblick und Empfehlungen: PflegestützpunktPlus
Abbildung 5: Perspektiven PflegestützpunktPlus
Versorgungsmanagement
- Das Versorgungsmanagement (Pflegeberatung gemäß § 7a SGB XI) in den Pflegestützpunkten gilt es im Sinne eines PflegestützpunktPlus mit anderen Care and Case Management-Ansätzen in der Region und in der gesundheitlichen Versorgung zu verschränken.
Digitales Ökosystem
- Es braucht bundesweit eine einheitliche Software für die Dokumentation, bzw. das Case Management, in Pflegestützpunkten.
- Schnittstellen mit anderen Beratungsinstitutionen oder der elektronischen Patientenakte könnten ein bedarfsgerechtes und effizientes Case Management erleichtern.
Dezentrale Präsenz von Pflegestützpunkten
- Die dezentrale Präsenz von Pflegestützpunkten dient der Aktivierung und Absicherung individueller Versorgungsarrangements. Weiterhin ermöglicht sie die regionale Vernetzung mit professionellen und informellen Akteuren, die zur Realisierung der Leistungsansprüche für hochkomplexe Fälle notwendig ist.
Integrierte Beratung
- Beratungsansprüche und -angebote auf Pflege angewiesener Menschen sind in ein Gesamtkonzept der pflegefachlichen Begleitung, Beratung, Schulung und des Case Managements zusammenzuführen.
Monitoring und Planung
- Es bedarf eines (möglicherweise) KI-gestützten Monitorings, das als Grundlage für eine kommunal und regional ausgerichtete Pflegestrukturplanung dient.
Vernetzung, Koordination und Kooperation
- Care Management bedeutet die gesundheitlichen, pflegerischen, technischen und sozialen Unterstützungsformen mit ihren entsprechenden Akteuren zu koordinieren und Kooperation zu etablieren.
Abbildung 6: Care und Case Management