Patientensicherheit bei der Geburt: Interview über Kaiserschnitte und moderne Geburtshilfe

Die Gründe für einen Kaiserschnitt können sehr unterschiedlich und individuell sein. Doch was sind die medizinischen Risiken für die Mutter, die prinzipiell bei einem Kaiserschnitt oder einer natürlichen Geburt auftreten können? Und wie kann eine moderne Geburtshilfe die Bedürfnisse der Frau berücksichtigen? Darüber hat unsere Beauftragte für Patientensicherheit mit Prof. Dr. Holger Maul gesprochen. Er ist Chefarzt für Geburtshilfe und Frauenheilkunde bei den Asklepios Kliniken Barmbek, Wandsbek und Nord-Heidberg.
Prof. Maul, lassen Sie uns mit einem Thema einsteigen, das viele Frauen beschäftigt: den Spätfolgen von Kaiserschnitten. Was sind dabei die wichtigsten Risiken?
Dr. Viola Sinirlioglu, Beauftragte für Patientensicherheit bei der DAK-Gesundheit und Prof. Dr. Holger Maul, Chefarzt für Geburtshilfe und Frauenheilkunde bei den Asklepios Kliniken Barmbek, Wandsbek und Nord-Heidberg
Prof. Dr. Holger Maul: „Wenn wir über Spätfolgen von Kaiserschnitten sprechen, dann betreffen diese natürlich in erster Linie die Mutter. Während der Operation kann es zu Verwachsungen kommen, die in späteren Schwangerschaften zu Komplikationen führen. Ein Beispiel ist die sogenannte Plazentationsstörung – also wenn sich die Plazenta im Bereich der Narbe einnistet, was in der Folge zu Problemen führen kann. Auch ein Uterusrupturrisiko besteht, also das Risiko, dass die Gebärmutter an der Narbe reißt.“
Und wie sieht es mit direkten OP-Komplikationen beim Kaiserschnitt aus?
Prof. Dr. Holger Maul: „Auch die sind möglich – wenn auch selten. Es kann zu Blasenverletzungen kommen, in absoluten Ausnahmefällen auch zu Darm- oder Gefäßverletzungen. Diese können Spätfolgen nach sich ziehen. Hinzu kommt, dass spätere Schwangerschaften oft intensiver überwacht werden müssen, weil Beschwerden durch Verwachsungen auftreten können.“
Wie relevant sind diese Risiken bei der Entscheidung für oder gegen einen Kaiserschnitt?
Kaiserschnitt: Das sollten Sie wissen
Wann ist ein Kaiserschnitt notwendig und wie läuft er ab?
Prof. Dr. Holger Maul: „Man muss das in den richtigen Kontext setzen. Entscheidend ist, wie viele Geburten noch geplant sind. Wenn klar ist, dass eine Frau zwei oder drei Kinder haben möchte – was auf die Mehrzahl zutrifft – dann sind die Risiken beherrschbar. Die schweren Komplikationen treten meist bei vier oder mehr Kaiserschnitten auf. Das ist in Deutschland sehr selten. Ich sehe vielleicht eine Handvoll Frauen mit einem fünften oder sechsten Kaiserschnitt in meiner gesamten Laufbahn."
Das heißt, man muss aufpassen, die Risiken nicht zu dramatisieren?
Prof. Dr. Holger Maul: „Genau. Ich finde es nicht gerechtfertigt, Frauen mit Ängsten zu überhäufen – gerade in einem Land wie Deutschland mit einem so hohen medizinischen Standard. Es gibt aber auch noch andere Aspekte, die neben den medizinischen Gründen und Risiken für oder gegen einen Kaiserschnitt sprechen – beispielsweise das Erleben der Geburt. Deshalb gilt grundsätzlich: Die Entscheidung muss auch zur individuellen Lebenssituation und zur seelischen Konstitution der Frau passen."
Wenn wir die vaginale Geburt betrachten – auch sie ist ja nicht frei von Risiken.
Prof. Dr. Holger Maul: „Natürlich nicht. Es gibt beispielsweise Beckenbodenschäden – sogenannte Levatoravulsion – die bei bis zu 40 % der Frauen auftreten können. Auch Rissverletzungen im Bereich von Scheide, Damm oder sogar des Afters können vorkommen. Und nicht zuletzt fürchten viele Frauen ungeplante Interventionen – wie Not-Kaiserschnitte oder Saugglockengeburten."
Was genau passiert bei einer Geburt mit Saugglocke?
Prof. Dr. Holger Maul: „Eine Saugglocke wird dann eingesetzt, wenn die Geburt im letzten Abschnitt ins Stocken gerät – etwa weil die Wehentätigkeit nachlässt oder die Herztöne des Kindes schlechter werden. Die Glocke wird auf den Kopf des Kindes gesetzt und während einer Wehe vorsichtig gezogen – meistens reicht das schon, um dem Kind den Weg zu erleichtern. Gewalt ist da kein Thema – oft reicht der sanfte Zug aus, damit das Kind in eine bessere Position kommt."
Und wenn die Frau eine Saugglockengeburt ablehnt?
Prof. Dr. Holger Maul: „Dann bleibt nur der Kaiserschnitt. Wichtig ist: Alles passiert in Absprache mit der Frau. Nichts gegen ihren Willen. Und gerade hier ist Vorbereitung entscheidend – ich rate allen Frauen, sich gut auf das Geburtsplanungsgespräch vorzubereiten. Fragen notieren, Unsicherheiten ansprechen, nichts unausgesprochen lassen."
Stichwort Geburtshilfe: Wie wichtig ist es, auf individuelle Bedürfnisse der Frau einzugehen?
Sie erwarten ein Baby? Wir sind für Sie da
Unsere Angebote und Leistungen für Schwangere.
Prof. Dr. Holger Maul: „Das ist zentral. Frauen bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen, Ängste, Haltungen und kulturelle Hintergründe mit. Manche brauchen klare Strukturen und Planbarkeit, andere möchten sich auf das Unvorhersehbare einlassen. Diese Charakterunterschiede kann man nicht ignorieren. Aufgabe der Geburtshilfe ist es, diesen Menschen mit Respekt und Offenheit zu begegnen."
Und was ist mit traumatischen Erlebnissen unter der Geburt?
Prof. Dr. Holger Maul: „Traumatisierung ist ein großes Thema – auch wenn das Ergebnis medizinisch objektiv gut ist, kann das Erleben für die Frau sehr belastend sein. Deshalb braucht es nicht nur medizinische Kompetenz, sondern auch ein traumasensibles Umfeld – gut ausgebildetes Personal, Kultursensibilität, funktionierende Teams. Alles beginnt damit, dass man zuhört."
Wie gehen Sie mit Frauen um, die sich die Entscheidung für oder gegen einen Kaiserschnitt offenhalten möchten?
Prof. Dr. Holger Maul: „Es gibt Frauen, die einen geplanten Kaiserschnitt möchten, ihn aber jederzeit absagen können. Andere wollen es erstmal auf natürlichem Weg versuchen, aber jederzeit die Option zum Kaiserschnitt haben. Beides ist möglich. Wichtig ist, dass sie sich verstanden fühlen und dass wir als Team flexibel auf ihre Wünsche reagieren."
Wie schätzen Sie die Qualität der geburtshilflichen Versorgung hierzulande ein?
Prof. Dr. Holger Maul: „Wir arbeiten auf einem sehr hohen Niveau. Die Facharztdichte ist hoch, die Hebammenausbildung gut, die medizinisch-technische Ausstattung exzellent. Auch die Konzentration von Risikofällen an spezialisierten Zentren funktioniert. Wir haben ein flächendeckendes Netz von Kliniken – selbst mit mehr Zentralisierung wäre das im internationalen Vergleich noch herausragend."
Optimiertes Geburtshilfe-Programm – für ein schönes Geburtserlebnis
Als Ergänzung zur regulären Betreuung bieten wir Ihnen in 15 Asklepios- und Rhön-Kliniken ein umfassendes Geburtshilfe-Programm – vom ersten Kliniktermin bis sechs Monate nach der Geburt.
Was sagen Sie zur Sorge vor “Geburtsfabriken” durch Zentralisierung?
Prof. Dr. Holger Maul: „Die Sorge ist verständlich, aber unbegründet, wenn man es richtig macht. Große Kliniken können individuelle Bereiche schaffen, kleine Einheiten mit persönlicher Betreuung – aber mit Zugriff auf alle Notfallstrukturen. Und wir dürfen nicht vergessen: Viele Komplikationen lassen sich nur in großen Zentren optimal versorgen."
Und wie steht es um die Verantwortung der Frauen selbst?
Gerade bei vulnerablen Gruppen ist das sicher eine Herausforderung?
Prof. Dr. Holger Maul: „Ja, genau da liegt unsere größte Aufgabe: Wie erreichen wir Frauen, die sprachliche, kulturelle oder soziale Barrieren haben? Die oft gar nicht im Wartezimmer auftauchen? Da braucht es gezielte Ansprache und Konzepte, die niedrigschwellig und individuell sind. Und es braucht politische und gesellschaftliche Anstrengung, um Versorgungsungerechtigkeit abzubauen."

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