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Stationärer Aufenthalt in der Psychiatrie - was Eltern von Jugendlichen wissen sollten

Stationärer Aufenthalt Psychiatrie: Jugendliche in einer Gruppentherapie
Die Masken sind verschwunden und die Corona-Pandemie ist bei vielen schon beinahe vergessen. Doch die Jahre wirken nach – bei Kindern und Jugendlichen haben sie deutliche Spuren hinterlassen. Psychische Störungen unter ihnen nehmen zu, das zeigt auch der aktuelle DAK-Kinder - und Jugendreport. Manche der Betroffenen leiden still, andere bitten aktiv um Hilfe. Eine Lösung: Ein Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Doch wie erkennen Eltern Warnsignale – und was können sie tun, wenn der Nachwuchs in die Krise rutscht? Im Interview gibt der Kinder- und Jugendpsychiater Thilo Palloks Antworten.

Woran merken Eltern eigentlich, dass ihr Kind psychologische Hilfe braucht und erkennen Depressionen oder andere psychische Erkrankungen?

Thilo Palloks: "Dafür kann man sich gut am Krankheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation orientieren. Der besagt, dass jemand krank ist, wenn – erstens – er oder sie selbst einen Leidensdruck hat aufgrund einer körperlichen oder psychischen Symptomatik. Zweitens, wenn die Umgebung einen Leidensdruck hat. Oder drittens, wenn ich mit meinen schulischen oder ausbildungstechnischen Anforderungen nicht mehr zurechtkomme – oder mit privaten und sozialen Bezügen. Ich denke, das Wichtigste ist aber der Leidensdruck. Leidet das Kind in der Schule oder dem Kindergarten? Und leidet die Familie, darunter, dass es Symptome entwickelt?"

Ab welchem Alter macht eine psychologische Begleitung überhaupt Sinn – gibt es hier eine Grenze?

Thilo Palloks: "Es macht von 0 bis 100 Sinn, sich Hilfe zu holen, also zur Therapie zu gehen und sich dort unterstützen zu lassen. Man kann nicht alles allein machen und das muss man auch nicht."

Was hat die Corona-Zeit mit der Psyche von Kindern gemacht – behandeln Sie in Ihrer Praxis etwa mehr Kinder mit Angststörungen und Verhaltensproblemen?

Thilo Palloks: "Interessanterweise sind in meiner Praxis während des Lockdowns selbst gar nicht so viele Kinder aufgrund dieses Themas eingelaufen. Das kam erst ein Jahr später. Und interessant ist auch, dass Mädchen stärker betroffen waren als Jungs. Sie haben mehr darunter gelitten, dass sie keinen persönlichen Kontakt haben konnten in ihrer Peergroup. Bei ihnen haben zum Beispiel Ängste zugenommen, Depressionen, manchmal Phobien wie eine Klaustrophobie, Essstörungen, so wie Anorexie oder Adipositas, weil sich die Kinder wenig bewegt haben."

Was können Eltern tun, damit Kinder eine gesunde Psyche entwickeln?

Thilo Palloks: "Reden, reden, reden. Und Eltern sollten liebevoll, aber strukturiert vorgehen – also sehr viel loben. Das fällt uns oft sehr schwer, unsere Kinder zu loben. Weil die Menschen häufig auch von ihren eigenen Eltern wenig gelobt wurden. Und am besten alles positiv formulieren. Wenn Eltern beispielsweise sagen “Lass den Quatsch” – dann weiß das Kind oft gar nicht, was der Quatsch eigentlich ist. Grundsätzlich brauchen Kinder eine feste Struktur, viele Rituale – so wie Spielrituale – und klare Regeln."

Wann kommt ein Kind in die Kinderpsychiatrie?

Thilo Palloks: "Mittlerweile ist es so, dass im kinderpsychiatrischen Bereich im bundesdeutschen Durchschnitt ADHS und Komorbiditäten – also Begleitphänomene – zwischen 60 und 75 Prozent ausmachen. Solche Begleiterkrankungen sind beispielsweise Depressionen, Stimmungsschwankungen, Ängste oder Essstörungen. Oder auch Suchtthemen wie Alkohol oder Cannabis. Das ist sozusagen der Schwerpunkt, dazu kommen natürlich psychosomatische Phänomene oder Ängste. Das hat ziemlich zugenommen seit Corona und dem Ukrainekrieg. Ein Thema ist auch der Medienkonsum – Eltern haben oft verpasst, frühzeitig stringente Regeln einzuführen. Und schließlich gibt es bei Kindern eine immer größere Tendenz zum Übergewicht bis zur Adipositas."

Therapieplatz in der Psychiatrie bekommen

Eine Überweisung in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie stellt die behandelnde Person meist im Rahmen einer Psychotherapie aus. Bei der Suche nach einem Therapieplatz steht Ihnen die DAK zur Seite. In Notfällen, etwa wenn ein Kind suizidgefährdet ist, gibt es zudem aufnahmeverpflichtete Kliniken. Auch nachts können Sie ohne Überweisung die Notfallambulanzen der psychiatrischen Kliniken aufsuchen.

In der Kinderpsychiatrie unterscheidet man zwischen einem teilstationären und stationären Krankenhausaufenthalt – was ist dabei der Unterschied?

Thilo Palloks: "Bei einer stationären Aufnahme sind die Kinder für einen bestimmten Zeitraum durchgängig im Krankenhaus, das kann zwischen drei und vier Monate dauern. Dabei geht es gar nicht so sehr um ein Mehr von Therapie, sondern um einen Milieu- und Setting-Wechsel. Ich würde sagen, vollstationär macht dann Sinn, wenn man zum Beispiel Schwierigkeiten hat, morgens und abends aus dem Bett zu kommen. In der Klinik ist man aufgefangen und geschützt und bekommt eine Struktur durch den Klinikalltag und das Personal. Wenn man aber ohnehin gut strukturiert und motiviert ist und sagt: „Ich möchte gerne in die Klinik und etwas verändern” – dann macht eine teilstationäre Behandlung sicher Sinn. Morgens gehen die Kinder dann meistens in die Klinikschule und nachmittags gibt es Therapien, also zum Beispiel Ergo- oder Kunsttherapien. Ein- bis zweimal pro Woche haben sie außerdem Einzelgespräche mit den Bezugstherapeuten. Und dazwischen finden immer wieder medizinische Untersuchungen statt. Abends sind sie dann wieder zu Hause."

Wie können Eltern ihr Kind während eines stationären Aufenthalts im Krankenhaus gut unterstützen?

Thilo Palloks: "Manchmal ist es so, dass Kinder und Jugendliche sich abgeschoben fühlen. Sie denken: „Ich bin das Problem”. Ich bin ein Freund davon dann zu sagen, dass nicht das Kind das Problem ist, sondern dass es ein familiäres Thema ist. Eltern sollten klarstellen, dass es kein Abschieben ist, sondern im Gegenteil ein Liebesbeweis. Es ist ja auch nur ein befristeter Aufenthalt und das Kind kommt – nach Möglichkeit – wieder in die Familie zurück."

Wie schaffen es Kinder und Jugendliche nach einem Klinikaufenthalt ein eigenständiges und glückliches Leben zu führen? 

Thilo Palloks: "Wichtig ist, dass man bei einer stationären Behandlung das nach-stationäre gleich mit vorbereitet. Zum Beispiel: Welche Schulform ist die geeignete? Und, dass man am Anfang auf jeden Fall eine Art der Nachsorge macht – etwa über die Klinikambulanz oder bei einer Verhaltenstherapie. Entscheidend ist, ein gutes soziales Netz zu bilden zwischen verschiedenen Institutionen, beispielsweise Schulpsychologen, Therapeutinnen, Psychiatern und Lehrerinnen – und die Eltern mit einzubeziehen."

Thilo Palloks ist Facharzt für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie

Thilo Palloks

Facharzt für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie

Thilo Palloks ist Facharzt für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie und Psychotherapie. In seiner Praxis in München diagnostiziert und behandelt er schwerpunktmäßig AD(H)S und Komorbiditäten, Legasthenie und Dyskalkulie, Autismus und Essstörungen.


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