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Angststörungen bei Teenagern - Interview mit Psychologin

Angststörungen bei Teenagern: Ein Jugendlicher sitzt allein auf dem Fußboden

Die Matheprüfung steht an und Ihr Kind sitzt schon morgens mit Bauchkrämpfen und klopfendem Herz am Küchentisch? In der Pubertät entwickeln viele Jugendliche Ängste, die sich zur Angststörung entwickeln können – ob vor schulischen Herausforderungen oder in sozialen Situationen. Die Zahlen steigen: Der Kinder- und Jugendreport der DAK zeigt, dass 2021 im Vergleich zum Vorjahr 42 Prozent mehr Teenager aufgrund einer emotionalen Störung ins Krankenhaus mussten.

Doch woran erkennen Sie, ob Ihr Kind betroffen ist? Und wie können Sie  ihm helfen? Unsere Expertin, Psychologin Theresa Panzer, gibt Antworten.

Ängste kennen viele Menschen, aber was bezeichnen Experten als Angststörung?

Theresa Panzer: „Angst per se ist ein Gefühl, das eigentlich sehr sinnvoll ist. Es dient als Alarmanlage und warnt einen vor Gefahrensituationen. Eine Angststörung geht über eine normale, gesunde Angst hinaus. Hier treten Angstreaktionen auch in Situationen auf, die eigentlich nicht gefährlich sind. Den meisten Betroffenen ist sogar bewusst, dass ihre Angst in keinem angemessenen Verhältnis zu der tatsächlichen Bedrohung steht. Trotzdem fällt es ihnen schwer, sie zu kontrollieren.“

SO UNTERSTÜTZEN WIR ALS KRANKENKASSE

Ihr Teenager ist oft gestresst, fühlt sich unsicher oder überfordert? Hilfe bekommen Sie bei unseren Online-Angeboten DAK Nico oder DAK Smart4me. Wenn Ihr Kind eine Psychotherapie braucht, hilft Ihnen die DAK-Gesundheit bei der Suche nach einem Therapieplatz.

Von welchen Angststörungen sind Jugendliche betroffen?

Theresa Panzer: „Das sind vor allem spezifische Phobien und soziale Phobien. Spezifische Phobien sind auf bestimmte Situationen oder Objekte bezogen, die die Jugendlichen dann bewusst vermeiden. Beispiele sind etwa eine Klaustrophobie oder eine Arztphobie. Die soziale Phobie ist wahrscheinlich eine der bekanntesten Angststörungen und entwickelt sich oft im Jugendalter. Hier haben die Jugendlichen Angst davor, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Sie fürchten sich davor, einen Fehler zu machen oder sich peinlich zu verhalten.“

Sind Jungs häufiger von Angststörungen betroffen als Mädchen?

Theresa Panzer: „Genau umgekehrt: Mädchen sind in der Regel ungefähr doppelt so häufig von Angststörungen betroffen. Das könnte natürlich daran liegen, dass Mädchen reflektierter sind und offener mit Symptomen umgehen als Jungs.“

Wie macht sich eine Angststörung in der Pubertät bemerkbar?

Theresa Panzer: „Eltern bemerken oft, dass Jugendliche Situationen vermeiden, die angstbesetzt sind. Sie können bestimmte Aktivitäten nicht ausführen oder die typischen Anforderungen des Alltags nicht mehr bewältigen. Da kann das Kind etwa die Schule gar nicht mehr besuchen oder Prüfungen nicht mitschreiben. Manche Teenager empfinden auch während eines Tests große Ängste, dass sie eine schlechte Note bekommen – obwohl sie eigentlich mit den Fragen gut zurechtkommen. Es ist in der Regel auch eine körperliche Symptomatik erkennbar. Bei Kindern sind das vor allem Bauchschmerzen und Kopfweh, bei Erwachsenen und Jugendlichen zum Beispiel Schwitzen, ein beschleunigter Herzschlag oder auch Zittern und Erröten.“

Was sind die Ursachen für eine Angststörung?

Theresa Panzer: „Wie bei eigentlich allen psychischen Störungen gibt es nicht einen einzelnen Faktor, der das Problem ausmacht. Stattdessen kommt es immer zu einem Zusammenspiel von mehreren Ursachen. Dazu gehören zum Beispiel biologische und genetische Risikofaktoren. Das heißt, Ängste treten in manchen Familien gehäuft auf. Bei einigen Menschen ist auch das vegetative Nervensystem leicht übererregbar, sodass es schnell zu einer körperlichen Reaktion kommt. Ein weiterer Grund ist ein ängstliches und schüchternes Temperament, schon zu Beginn der Kindheit. Außerdem übernehmen Kinder Verhaltensweisen von Erwachsenen: Häufig sind bei Teenagern mit Angststörungen schon die Eltern eher ängstlich oder in ihrem Erziehungsverhalten überbehütend und kontrollierend. Bei spezifischen Phobien steckt dagegen oft ein konkretes Ereignis dahinter – zum Beispiel eine Angst vor Hunden, weil man einmal gebissen wurde.“

Was können Eltern tun, damit Jugendliche weniger Angst haben?

Theresa Panzer: „Wichtig ist, das Selbstbewusstsein und die Autonomie des Kindes zu stärken. Dabei sollten Eltern auch sich selbst und ihr Erziehungsverhalten reflektieren. Gebe ich dem Kind genügend Freiraum, sodass es sich entwickeln kann? Muss es Probleme und altersentsprechende Aufgaben auch mal selbst bewältigen? Dann merkt das Kind: Ich komme in schwierigen Situationen gut klar und kann sie mit meinen eigenen Mitteln lösen.“

Eltern haben den Verdacht, dass ihr Kind eine Angststörung hat  - wie verhalten sie sich jetzt richtig? Welche Anlaufstellen gibt es?

Psychotherapeutische Behandlung

Wie wir bei seelischen Problemen helfen

Theresa Panzer:  „Sie sollten auf jeden Fall aufmerksam sein und ein offenes Ohr haben. Wichtig ist, dass sie die Ängste ernst nehmen – auch wenn sie objektiv nicht im Verhältnis zur Bedrohung stehen. Niederschwellige Hilfe bekommt man dann zum Beispiel erstmal von Schulpsychologinnen und Schulpsychologen oder von Kinder- und Jugendärztinnen und Ärzten. Mit einer behandlungsbedürftigen Störung kann man sich im nächsten Schritt an niedergelassene Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wenden oder an sozialpsychiatrische Praxen und an die kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanzen in Kliniken.“

Wie wird eine Angststörung behandelt?

Theresa Panzer: „Zum einen bekommt das Kind eine Psychotherapie. Dabei ist das Ziel, dass die Jugendlichen zum Experten für ihr Problem werden, sich schrittweise mit der Angst konfrontieren und dabei erlernte Strategien anwenden, um mit ihr im Alltag umzugehen. Zum anderen werden aber auch die Eltern beraten: Wie sieht die Symptomatik aus? Warum verhält sich mein Kind so? Es geht auch darum, zu reflektieren: Wie kann ich mein Kind im Alltag unterstützen, die Ängste zu bewältigen? Wo trage ich vielleicht selbst dazu bei, das Vermeidungsverhalten aufrechtzuerhalten? Je nach Angst und Kontext macht außerdem ein Austausch mit Kindergarten und Schule Sinn. Medikamente bekommen Teenager nur, wenn die psychotherapeutischen Behandlungsversuche nicht ausreichend erfolgreich sind – oder wenn die Angst besonders schwer ist und den Alltag stark einschränkt.“

Was passiert, wenn Angststörungen bei Jugendlichen unbehandelt bleiben?

Theresa Panzer: „Die Symptome können chronisch werden und über Jahre ein Problem darstellen. Auf jeden Fall ist der Alltag mit einer dauerhaften Störung schwer zu bewältigen – das betrifft beispielsweise die Schule, aber auch soziale Beziehungen. Die Teenager ziehen sich vermehrt zurück, im schlimmsten Fall isolieren sie sich sozial. Außerdem zieht die Störung oft weitere psychische Erkrankungen nach sich, wie Depressionen. Und: Wenn Kinder und Jugendliche keinen angemessenen Umgang mit ihrer Angst erlernen, werden sie im Erwachsenenalter selbst zu ängstlichen Modellen für ihre Kinder."

Zur Person

Diplom-Psychologin Theresa Panzer

Die Psychologin Theresa Panzer arbeitet in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dort hat sie bei ihren jungen Patienten beispielsweise mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Transidentität oder Ängsten und Depressionen zu tun.

Autor(in)

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