Warum pilgern Menschen?

Ein Unternehmer ist 250 Kilometer Richtung Santiago de Compostela gewandert. Für drei Wochen hat er den Alltag hinter sich gelassen – Schritt für Schritt. Stress? Weit und breit nicht in Sicht.
Pilgern ohne religiösen Hintergrund
Tipps
- Wandern Sie mit so wenig Gepäck wie möglich
- Machen Sie Pausen
- Genießen Sie die Stille
Kleine Dinge zählen
Gleich der erste Tag hatte es in sich. Mehrere Stunden wanderte der damals 41-Jährige an der portugiesischen Küste entlang, immer der gelben Muschel nach, dem offiziellen Wegweiser auf dem Jakobsweg. Mit dem Rauschen des Meeres im Ohr genoss der Urlauber den Start seiner Tour. Nach 33 Kilometern gab es den ersten Dämpfer: „Ich war ganz schön erschöpft und dann schnappte mir in der Herberge eine Holländerin das letzte Bett vor der Nase weg. Sie war einfach ein paar Minuten eher da als ich“, erinnert sich der Wanderer. Wo nun duschen, schlafen, die Beine hochlegen, den Körper zur Ruhe kommen lassen? Die Herbergseltern empfahlen eine nahe Pension. Dort angekommen, stellte sich schnell jenes Glücksgefühl ein, das Dirk Reiche noch des Öfteren auf dem Weg erleben sollte. Wer stundenlang bei sengender Sonne gewandert ist, freut sich plötzlich über die kleinen Dinge des Lebens: warmes Duschwasser, leckeres Essen, ein kühles Getränk und eine gute Matratze.
Letztere war jedoch gar nicht so leicht zu finden. In den Schlafsälen der öffentlichen Herbergen standen bis zu 15 Etagenbetten, oft waren – wegen der großen Zahl der Pilgerinnen und Pilger – nur noch die oberen Matratzen frei. Nicht einfach, es sich dort gemütlich zu machen, wenn man wie Dirk Reiche 1,96 Meter groß ist. „Ich habe mich schräg gelegt, die Füße baumelten aus dem Bett“, erzählt er. Lebhaft erinnert er sich auch an das internationale nächtliche Schnarchkonzert.
Alles ist weit weg
Zuweilen hat er sich seinen zehn Kilo schweren Rucksack schon um sechs Uhr morgens geschnappt, um die nächste Etappe anzugehen. Mit sich allein sein, das kann Dirk Reiche gut. Doch auch die zahlreichen Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern, die den Jakobsweg zu etwas ganz Besonderem machen, haben ihm sehr gutgetan. Aufeinander aufpassen, füreinander da sein, reden und zuhören, andere Lebensgeschichten erfahren und selbst Persönliches von sich erzählen – all das war möglich auf dem Jakobsweg. Der Alltag, die täglichen kleinen Ärgernisse, Stress? Alles ganz weit weg. Als der Hamburger nach 250 Kilometern in Santiago de Compostela eintraf, wurde ihm bewusst: Auf dem Jakobsweg ist der Weg das Ziel. Denn die Erfahrungen, die man gemacht hat, kann einem keiner mehr nehmen.
Zeit zum Nachdenken
„Der Jakobsweg hat mich komplett geerdet und auf den Boden der Tatsachen geholt. Ich habe plötzlich viele Dinge hinterfragt und hatte die Zeit dazu. Wann stellt man sich sonst im Alltag die Frage, ob das, was man tut, einen auch glücklich oder zumindest zufrieden macht?“, zieht Dirk Reiche Bilanz. Wenn es bei ihm heute im Privatleben oder im Büro nicht rund läuft, erinnert er sich an das Ende seines ersten Pilgertages. „Ich mache mir bewusst, wie wertvoll es ist, etwas zu essen zu haben, ein Dach über dem Kopf und abends ein warmes Bett. Darauf kommt es wirklich an. Die Dinge, über die man sich sonst ärgert, sind dem gegenüber oft wirklich unbedeutend“, weiß er heute. Außerdem habe er seit seiner Pilgertour eine Art persönliches Frühwarnsystem, das ihm sagt: Du musst dich mal wieder richtig auspowern.
Gänsehaut vor Glück
Hilfreich ist auch das Tagebuch, das Dirk Reiche auf seiner Reise Seite um Seite gefüllt hat. Regelmäßig nimmt er es zur Hand, blättert darin und erinnert sich an diese ganz besondere Zeit. Nach Santiago de Compostela ist er übrigens noch 80 Kilometer weiter zum Kap Finisterre gewandert. Und als er dort abends auf einem Felsen saß und die Sonne malerisch im Meer versank, hatte er nicht nur stramme Waden, sondern Gänsehaut vor Glück.
Fachbereich der DAK-Gesundheit
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