Sucht: Gravierende Folgen für Berliner Arbeitswelt – Betroffene haben nahezu doppelt so viele Fehltage
18. Juni 2019. Alkohol, Zigaretten und Computerspiele: Das Suchtrisiko von zehntausenden Beschäftigten in Berlin hat gravierende Folgen für die Arbeitswelt. Der Krankenstand bei betroffenen Erwerbstätigen ist fast doppelt so hoch. Ferner sind sie häufiger unkonzentriert im Job oder kommen zu spät. Das zeigt der aktuelle DAK-Gesundheitsreport „Sucht 4.0 in Berlin“. Nach der repräsentativen Studie haben rund 178.000 Arbeitnehmer in der Hauptstadt einen riskanten Alkoholkonsum – das ist jeder zehnte Beschäftigte in der Stadt. Erstmals untersucht der Report das Thema Computerspielsucht in der Arbeitswelt. Ergebnis: 167.000 Erwerbstätige in Berlin haben ein riskantes Nutzungsverhalten. Auf Grundlage der Ergebnisse fordert die Kasse deshalb eine breite gesellschaftliche Debatte zur Suchtproblematik. Die Kasse startet auch ein neues Präventionsangebot bei Alkoholproblemen.
Laut DAK-Gesundheitsreport 2019 haben Arbeitnehmer in Berlin mit Hinweisen auf eine so genannte Substanzstörung deutlich mehr Fehltage im Job als ihre Kollegen ohne auffällige Probleme. Der Krankenstand der Betroffenen ist mit 7,2 Prozent fast doppelt so hoch. Sie fehlen aber nicht nur im Job, weil sie wegen ihrer Suchtproblematik krankgeschrieben werden. Vielmehr zeigen sich bei ihnen in allen Diagnosegruppen mehr Fehltage. Besonders deutlich ist der Unterschied bei den psychischen Leiden. Hier sind es mehr als dreimal so viele Fehltage. Bei Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rückenschmerzen gibt es ein Plus von 50 Prozent, bei Atemwegserkrankungen sind es 53 Prozent. Bedeutsam für Arbeitgeber ist auch die erhöhte Unfallgefahr in den Betrieben für Betroffene (plus 45 Prozent Verletzungen). Insgesamt gibt es nach der DAK-Studie unter den Erwerbstätigen in Berlin 447.000 abhängige Raucher, fast 18.000 sind alkoholabhängig und rund 40.000 erfüllen die Kriterien einer Internet Gaming Disorder (Computerspielsucht). Für Volker Röttsches, Leiter der DAK-Landesvertretung in Berlin hat das gravierende Auswirkungen auf die Arbeitswelt: „Neben gesundheitlichen Risiken für die Mitarbeiter führen Süchte auch zu einer verminderten Konzentrations- und Leistungsfähigkeit im Job. Arbeitsausfälle, eine höhere Fehlerquote und steigende Unfallzahlen können darüber hinaus zu Produktivitätsverlusten und damit zu wirtschaftlichen Schäden in den Berliner Unternehmen führen.“
Alkohol: 178.000 Arbeitnehmer trinken riskant
Der Großteil der direkten Krankmeldungen bei Suchtproblemen ist in Berlin auf Alkohol zurückzuführen (70 Prozent). Laut Studie der DAK-Gesundheit hat jeder zehnte Arbeitnehmer hierzulande einen riskanten Alkoholkonsum. Bei Männern beginnt dieser beispielsweise bei täglich mehr als zwei 0,3 Liter-Gläsern Bier, bei Frauen schon bei einem 0,3 Liter-Glas Bier pro Tag. Mit ihrem Trinkverhalten setzen sich 178.000 Erwerbstätige in der Hauptstadt Risiken aus, krank oder abhängig zu werden. „Wir warnen bereits seit Jahren die Gefahr durch Alkohol nicht zu unterschätzen. Der riskante Umgang mit Alkohol hat auch Auswirkungen auf die Arbeitswelt“, sagt Volker Röttsches. „Sucht ist eine Krankheit - jeden kann sie treffen. Wir brauchen eine breite und offene Debatte darüber in unserer Gesellschaft. Wir dürfen Betroffene nicht allein lassen. Wir müssen genau hinschauen um zu erkennen, ist es Genuss, Gewohnheit oder bereits Sucht?“ Beim Thema Alkoholprävention gehe es um die Verbesserung und die Ergänzung der bestehenden Angebote. Die DAK-Gesundheit schließt eine Versorgungslücke ab sofort mit einem neuen Online-Selbsthilfeprogramm bei Alkoholproblemen.
Hoher Alkoholkonsum – abgelenkt bei der Arbeit
Der hohe Alkoholkonsum wirkt sich auch auf den Arbeitsalltag aus. So gab bundesweit jeder zehnte Arbeitnehmer mit riskantem Trinkverhalten an, in den letzten drei Monaten wegen Alkohol abgelenkt oder unkonzentriert bei der Arbeit gewesen zu sein; bei Arbeitnehmern mit einer möglichen Abhängigkeit sogar fast jeder Zweite (47 Prozent). Je höher der Alkoholkonsum, desto häufiger kommen betroffene Mitarbeiter deshalb auch zu spät zur Arbeit oder machen früher Feierabend. Mehr als jeder vierte Mitarbeiter mit einer möglichen Abhängigkeit gab das bei der DAK-Analyse an (27,2 Prozent).
167.000 Beschäftigte in Berlin spielen riskant am Computer
Erstmals untersucht der Report auch das Thema Gaming und seine Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Demnach spielen 60 Prozent der Erwerbstätigen in Berlin Computerspiele. 9,4 Prozent gelten als riskante Gamer. Das heißt: 167.000 Beschäftigte zeigen auffälliges Nutzungsverhalten. Bundesweit spielt jeder vierte riskante Gamer während seiner Arbeitszeit Computerspiele. Bei den Computerspielsüchtigen ist es sogar fast jeder Zweite (47 Prozent). Jeder elfte Mitarbeiter mit riskantem Spielverhalten gab bei der Analyse an, in den letzten drei Monaten wegen des Spielens abgelenkt oder unkonzentriert bei der Arbeit gewesen zu sein. Von den Erwerbstätigen mit einer Computerspielsucht war es sogar jeder Dritte (34,1 Prozent). Vor allem junge Erwerbstätige zwischen 18 und 29 Jahren sind laut DAK-Report riskante Computerspieler (11,6 Prozent).
Rauchen ist verbreitetste Sucht
Das Rauchen von Zigaretten ist laut DAK-Report auch in Berlin die verbreitetste Sucht, die auch die Arbeitswelt betrifft. 25,2 Prozent der Erwerbstätigen sind zigarettenabhängig. Bundesweit gibt es unter den jungen Erwerbstätigen zwischen 18 und 29 Jahren mit 16,3 Prozent den geringsten Anteil. Bei den 60- bis 65-jährigen Berufstätigen raucht fast jeder Vierte (23,7 Prozent). Fast jeder zweite Raucher raucht auch während seiner Arbeitszeit, also außerhalb der Arbeitspausen.
Dampfen – nicht ohne Nikotin
Derzeit dampfen 5,2 Prozent der Erwerbstätigen in Berlin E-Zigarette. Raucher von E-Zigaretten greifen oft parallel zur herkömmlichen Zigarette, belegt der DAK-Report. Dampfer finden sich deshalb fast ausschließlich unter Rauchern und Ex-Rauchern. Bundesweit konsumiert mit 85 Prozent die deutliche Mehrheit der Dampfer Liquid mit Nikotin. „Dampfen mit Nikotin oder Tabak führt in die Abhängigkeit, genau wie herkömmliche Zigaretten“, warnt Volker Röttsches. „Deshalb brauchen wir endlich ein umfassendes Werbeverbot für Tabak, Zigaretten und E-Zigaretten. Diese Forderung unterstützen auch die Fachgesellschaft der Lungenärzte sowie die Deutsche Krebshilfe mit Hinweis auf die Gesundheitsrisiken. Weil E-Zigaretten gesundheitsgefährdende Suchtmittel sind, dürfen sie nicht vom geplanten Tabakwerbeverbot der Bundesregierung ausgenommen werden.“
DAK-Gesundheit bietet Online-Hilfe bei Alkoholproblemen
Mit Blick auf die Ergebnisse des Reports bietet die DAK-Gesundheit ab sofort ein neues präventiv ansetzendes Hilfsangebot bei Alkoholproblemen an – und schließt damit eine Versorgungslücke in Deutschland. Bislang fehlen flächendeckende und wirksame Angebote. Versicherte der Krankenkasse können das kostenlose Online-Coaching „Vorvida“ nutzen, um ihren Alkoholkonsum zu reduzieren. Eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf (UKE) belegt die Wirksamkeit: Bei den Teilnehmern sank das riskante Trinkverhalten um bis zu 75 Prozent. Die DAK-Gesundheit ist die erste Krankenkasse, die das Programm der Hamburger GAIA AG ihren Versicherten anbietet. Das Online-Coaching „Vorvida“ ist auf Smartphones und Tablets mobil voll nutzbar. Es kann auch über die digitale Gesundheitsplattform „Vivy“ genutzt werden. Alle Daten werden
vertraulich behandelt und nicht weitergegeben. Eine Anmeldung ist auf www.dak.de/vorvida möglich.
Der aktuelle DAK-Gesundheitsreport „Sucht 4.0 in Berlin“ untersucht umfassend die krankheitsbedingten Ausfalltage sowie ärztliche Behandlungen bei Suchterkrankungen und wirft einen Blick auf die Auswirkungen in der Arbeitswelt. Für die Untersuchung wurden Daten zur Arbeitsunfähigkeit von rund 106.000 erwerbstätigen Versicherten der DAK-Gesundheit in Berlin durch das IGES Institut ausgewertet – flankiert von Analysen der ambulanten und stationären Versorgung. Eine repräsentative Befragung von bundesweit 5.000 Beschäftigten, sowie eine Expertenbefragung geben Aufschluss über die Verbreitung und den Umgang mit den verschiedenen Suchtmitteln und Verhaltensweisen.
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Stefan Poetig
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