Beitragsentwicklung in der Sozialversicherung: Update zu den Auswirkungen der aktuellen Haushaltsplanung des Bundes

Die Sozialversicherung sieht sich in zunehmendem Maße einem steigenden Beitragsdruck ausgesetzt. Über die bereits seit längerem bestehenden demografischen Herausforderungen hinaus sind nun auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen seit einiger Zeit ungünstig, ein nachhaltiges Aufleben der konjunkturellen Entwicklung ist noch nicht in Sicht. Die jahrelange Stabilität am Arbeitsmarkt ist mittlerweile nicht mehr gegeben, die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung stagniert, und die Arbeitslosenquote nimmt zu.
Diese Entwicklungen haben Auswirkungen auf den kurz-, mittel- und langfristigen Finanzbedarf der einzelnen Zweige der Sozialversicherung. Zu Jahresbeginn haben die gesetzlichen Krankenkassen die Beitragssätze auf ein historisch hohes Niveau angehoben, der Beitragssatz zur Pflegeversicherung wurde ebenfalls erhöht. Die neue Regierungskoalition ist angesichts dieser Herausforderungen angehalten, eine Reihe wirtschafts- und gesundheitspolitischer Gesetzesvorhaben, die von der Ampel-Koalition nicht mehr wie geplant umgesetzt werden konnten, kurzfristig voranzubringen.
Im Frühjahr dieses Jahres und auch bereits im Frühsommer 2024 haben Projektionen des IGES Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit aufgezeigt, dass sich die Beitragsbelastung zunehmend von der „Sozialgarantie 2021“ mit einer Deckelung des Gesamtsozialversicherungsbeitragssatzes bei 40 % entfernt (Ochmann & Albrecht 2024 sowie Ochmann et al. 2025). Seit Anfang des Jahres liegt die Sozialabgabenlast der beitragspflichtigen Einnahmen (bpE) bereits bei 42,6 %. Zudem ist absehbar, dass angesichts der demografischen Herausforderungen (Renteneintritt der „Baby-Boomer“) insbesondere in den demografieabhängigen Zweigen der Sozialversicherung in naher Zukunft mit einem weiteren Anstieg der Beitragssätze zu rechnen ist.
Vor diesem Hintergrund hat die DAK-Gesundheit das IGES Institut beauftragt, eine weitere Aktualisierung der Kurzstudie mit einer szenarienbasierten Projektion der Beitragssatzentwicklung in den vier Zweigen der Sozialversicherung – Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), Soziale Pflegeversicherung (SPV), Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) und Arbeitslosenversicherung (ALV) – bis zum Jahr 2035 zu erstellen.
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Methodisches Vorgehen und Annahmen
Im Rahmen der Projektion der Beitragssatzentwicklung wurden relevante Einflussfaktoren, die für diese Entwicklung maßgeblich sind, modelliert. Dabei wurde davon ausgegangen, dass (zunächst) keine sozialpolitischen Reaktionen auf die Entwicklungen erfolgen. Die Projektionen stellen somit keine Voraussage dar, sondern sie dienen dazu, den sozialpolitischen Handlungsbedarf aufzuzeigen.
Projiziert wurde die Beitragssatzentwicklung über den Zeitraum der Jahre 2025 bis 2035. Hierfür wurden Annahmen zur zukünftigen Entwicklung der Einflussfaktoren getroffen. Allgemeine Einflussfaktoren, die auf alle vier Zweige der Sozialversicherung in etwa gleich wirken, werden vorweg zweigübergreifend dargestellt. Annahmen, die spezifisch für die vier Sozialversicherungszweige getroffen wurden, werden in den folgenden Abschnitten zu den einzelnen Zweigen beschrieben.
Die Projektionen wurden für drei Szenarien mit unterschiedlichen zukünftigen Entwicklungen der beitragssatzrelevanten Einflussfaktoren durchgeführt:
- günstige Entwicklung („günstiges Szenario“)
- mittlere Entwicklung („Basisszenario“)
- ungünstige Entwicklung („ungünstiges Szenario“)
Berechnet wurden grundsätzlich ausgabendeckende Beitragssätze, die zum Teil von den für das laufende Jahr 2025 gegenwärtig gültigen Beitragssätzen abweichen können. Punktuell wurde bei der Ergebnisdarstellung von diesem Grundsatz abgewichen, worauf in Fußnoten zu den entsprechenden Abbildungen hingewiesen wurde.
Bevölkerungsentwicklung
Die zukünftige Entwicklung der Bevölkerung wurde unverändert auf Basis der 15. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder zugrunde gelegt. Dazu wurde die Variante mit mittlerer Entwicklung von Geburtenrate, Lebenserwartung und Wanderung gewählt (G2L2W2). In dieser Variante wird eine langfristig konstante Geburtenrate von 1,55 Kindern je Frau unterstellt. Es wird weiter angenommen, dass die Lebenserwartung bei Geburt ansteigt von 79,5 Jahren im Jahr 2023 auf 81,0 Jahren im Jahr 2035 für Männer und im selben Zeitraum von 84,0 Jahren auf 85,0 Jahren für Frauen. In dieser Variante wird zudem ein Außenwanderungssaldo unterstellt, der zunächst von +513.000 Personen im Jahr 2023 bis auf +250.000 Personen im Jahr 2033 zurückgeht und anschließend konstant bleibt.
Einkommensentwicklung
Die Annahmen zur zukünftigen Entwicklung der Einkommen der Versicherten orientieren sich zum einen an den Annahmen der mittelfristigen Finanzplanung des Bundes für die Jahre 2025 bis 2029 und zum anderen an aktuelleren Einschätzungen der Bundesregierung zur gegenwärtigen und zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung im Rahmen der letzten Konjunkturprognose der Bundesregierung vom April dieses Jahres („Frühjahrsprognose“, vgl. BMWK & BMF, 2025). Ab dem Jahr 2030 wurden die langfristigen Annahmen des Rentenversicherungsberichts der Bundesregierung zugrunde gelegt (BMAS, 2024). Letztere unterstellen eine szenarienabhängige Veränderung der Löhne und Gehälter, aus denen Sozialversicherungsbeiträge zu leisten sind, je Mitglied von im Durchschnitt pro Jahr („Lohnentwicklung“):
- +4 % (günstiges Szenario)
- +3 % (Basisszenario)
- +2 % (ungünstiges Szenario)