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Depressionen bei Jugendlichen erkennen und behandeln

Depressionen bei Jugendlichen: Mädchen starrt schwermütig vor sich hin

Lockdown und Isolation statt Klassenfahrten und Partys:  Die Corona-Pandemie hat Jugendlichen viel abverlangt und deutliche Spuren hinterlassen. Der DAK-Kinder- und -Jugendreport zeigt: 2021 mussten 28 Prozent mehr Teenager zwischen 15 und 17 Jahren aufgrund einer depressiven Episode ins Krankenhaus. Besonders betroffen waren die Mädchen.

Woran Sie erkennen, ob auch Ihr Kind gefährdet ist, und wie wir betroffene Jugendliche am besten unterstützen können, erfahren Sie im Interview mit Psychologin Theresa Panzer, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitet.

Mädchen im späten Teenageralter waren 2021 fünfmal so häufig wie Jungen wegen Depressionen in stationärer Behandlung. Sind Jungs einfach weniger anfällig für die Erkrankung?

Theresa Panzer: „Hier stellt sich die Frage: Sind Mädchen wirklich häufiger betroffen oder werden sie häufiger behandelt? Traurig zu sein, Angst vor Spinnen zu haben oder mit etwas nicht umgehen zu können – das ist bei Jungen noch etwas mehr stigmatisiert als bei Mädchen. Inwiefern das zu den Zahlen beiträgt, kann man allerdings nicht so gut sagen. Ob Mädchen höhere Risikofaktoren haben, oder mehr von ihnen Hilfe suchen, ist unklar – vermutlich ist beides der Fall.“


Welche Risikofaktoren für eine Depression bringt die Pubertät mit sich?

Theresa Panzer: „Bei Depressionen kommen mehrere Faktoren zusammen. Da gibt es etwa eine genetische Komponente. Aber auch neurobiologische Besonderheiten spielen eine Rolle. Das sind Stoffwechsel-Funktionsstörungen im Gehirn – das heißt, bestimmte Botenstoffe sind möglicherweise aus dem Gleichgewicht geraten. Auch das stressregulierende System im Gehirn arbeitet bei Depressiven anders. Dazu kommen bestimmte Persönlichkeits- oder Entwicklungsfaktoren, die das Risiko erhöhen. Etwa hohe Erwartungen an die eigene Leistung oder Unsicherheit, aber auch ein ängstlich-fürsorgliches Verhalten der Eltern bei der Erziehung. Dadurch haben die Jugendlichen oft selbst eine geringe Fähigkeit, mit Stress und Belastungen umzugehen.“
Psychologin Theresa Panzer

Was löst die Erkrankung dann letztendlich aus?

Theresa Panzer: „Man kann sich das so vorstellen: Jeder von uns hat eine Art Fass, das sich mit Belastungsfaktoren füllt. Das sind zum Beispiel kritische Lebensereignisse, wie die Scheidung der Eltern oder der Verlust eines Familienmitglieds. Viele Jugendliche fühlen sich aber auch mit der Schule überfordert oder mit Veränderungen im Alltag. Bei Teenagern mit vielen Risikofaktoren ist die Grenze für solche Belastungen schneller erreicht als bei anderen. Dann läuft irgendwann das Fass über und es kommt zu einer Depression.“

Wie erkennen Eltern eine Depression bei Teenagern?

Theresa Panzer: „Grundsätzlich gibt es drei Hauptsymptome – es müssen aber nicht alle erfüllt sein. Einmal verändert sich die Stimmung ins Negative. Selbst Dinge, die früher Spaß gemacht haben, verbessern sie nicht. Betroffene verlieren außerdem die Freude und das Interesse an Aktivitäten, die sie einmal sehr mochten. Dazu kommen Antriebsschwierigkeiten, vor allem am Morgen, oder eine leichte Ermüdbarkeit und Erschöpfung. Besonders typisch für Jugendliche sind bei einer Depression schnelle Stimmungswechsel über den ganzen Tag. Es kommt auch öfter zu selbstverletzendem Verhalten, um mit den Spannungszuständen oder der inneren Leere umzugehen. Häufig verschiebt sich der Tag-Nacht-Rhythmus komplett, da die Betroffenen unter Schlafstörungen leiden. Das alles äußert sich im Alltag, zum Beispiel mit einem Leistungsabfall in der Schule. Einige Teenager ziehen sich immer mehr zurück, gehen Hobbys nicht mehr nach oder kompensieren die Symptome durch Alkohol und andere Substanzen.“


Podcast-Reihe "Ganz schön krank, Leute": Wie mit Depressionen umgehen? Interview mit Benjamin Maack 

In dieser Folge aus unserer Podcast-Reihe „Ganz schön krank, Leute“ mit René Träder spricht Journalist Benjamin Maack ganz offen über seinen Alltag mit Depressionen. Wie die Krankheit auch das Leben seiner Familie verändert hat und warum sie sich gemeinsam dafür entschieden, offen damit umzugehen. Jetzt reinhören!

Wenig Schlaf und Stimmungswechsel – das kennen viele Eltern von ihrem Teenager. Sind Depressionen als Teenie also eine “Phase”, die zu Pubertät und Selbstfindung gehört?

Theresa Panzer: „Eine Depression bei Jugendlichen ist natürlich nicht die Regel, auch wenn sich die Symptome manchmal mit der Pubertätsentwicklung überschneiden. Letztendlich gehen die Beschwerden aber in ihrer Stärke und Dauer deutlich über das Maß hinaus, was eine jugendliche Phase ist. Im Normalfall funktionieren Teenager ja im Alltag, auch wenn es vielleicht mal mehr Konflikte mit den Eltern gibt – das ist bei einer Depression nicht der Fall. Trotzdem ist es oft schwer, die Symptome zu unterscheiden. Selbst Kinder- oder Jugendärztinnen und Ärzte erkennen eine Depression häufig nicht.“

Wie wird eine Depression bei Jugendlichen behandelt?

Theresa Panzer: „Am meisten Erfolg bringt eine Psychotherapie, in der Regel wird auch eine kognitive Verhaltenstherapie verschrieben. Bei Kindern und Jugendlichen werden außerdem die Bezugspersonen mit einbezogen. Medikamente machen bei einer mittleren und schweren Depression Sinn – also dann, wenn der Alltag sehr stark beeinträchtigt ist und Betroffene nicht ausreichend auf die Psychotherapie ansprechen.“

Psychotherapeutische Behandlung

Wie wir bei seelischen Problemen helfen

Was können Eltern im Umgang mit depressiven Teenagern tun, wenn sich diese nicht behandeln lassen wollen?

Theresa Panzer: „Als Erstes sollten Eltern immer versuchen, die Kinder zu einer Behandlung zu motivieren, in dem sie ihre Sorgen mitteilen. Gut ist es, den Jugendlichen zu spiegeln, wie sie sich verändert haben. Oft zeigt sich nach dem ersten Kontakt mit der Therapeutin oder dem Therapeuten auch von selbst ein Interesse – das erlebe ich oft so im klinischen Alltag. Die Kinder merken, dass sie mit einer neutralen Person sprechen, die ihre Probleme ernst nimmt und Methoden kennt, die helfen. In schweren Fällen kann man eine Behandlung auch vor Gericht erwirken – also bei dauerhaften und starken Symptomen und Suizidgedanken. Das sollte aber der allerletzte Schritt sein.“

Der DAK Kinder- und Jugendreport zeigt, dass die Zahl der Jugendlichen in stationärer Behandlung steigt. Gibt es mehr depressive Kinder als früher – oder wird die Krankheit einfach öfter erkannt?

Theresa Panzer: „Beides – einerseits haben sich die Zahlen durch die Corona-Pandemie etwas erhöht. Da sind viele Ressourcen weggefallen und gleichzeitig Möglichkeiten, um mit Belastungsfaktoren umzugehen. Jugendliche haben ihre Tagesstruktur im Lockdown verloren, dazu waren Sozialkontakte und Aktivitäten eingeschränkt. Und neue Zukunftssorgen sind dazu gekommen – schulisch und vielleicht sogar finanziell. Gleichzeitig hat aber auch das Bewusstsein für psychische Erkrankungen zugenommen und sie sind weniger stigmatisiert als früher. So erkennen Eltern sie eher und stellen Jugendliche früher in der Praxis oder der Klinik vor.“

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