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Leben mit Borderline

Borderline: Mädchen sitzt verzweifelt vor ihrem Bett auf dem Boden

Verlustängste, Reizbarkeit, plötzliche Wutanfälle: Menschen mit Borderline leiden unter starken Gefühlsschwankungen. Für sie selbst und die Menschen in ihrem Umfeld wird damit das Leben zu einem herausfordernden Balance-Akt.

Du denkst, eine Person, die dir nahesteht, könnte betroffen sein? Dann erfährst du hier mehr über das Borderline-Syndrom, wie du dir Hilfe holen kannst und worauf du in einer Beziehung mit einer betroffenen Person achten solltest. Für eine eindeutige Diagnose sollte unbedingt ein psychiatrischer Facharzt aufgesucht werden.


Früher war die Diagnose Borderline oft mit Stigmatisierung verbunden. Die Krankheit galt als kaum behandelbar. Inzwischen verstehen wir Borderline besser – und langfristig angelegte Therapieangebote und Stabilität im Alltag geben Anlass zur Hoffnung. Die Störung Borderline ist heute kein Schicksal mehr – junge Erwachsene können erfolgreich lernen, ihre Emotionen zu kontrollieren, stabile Beziehungen aufbauen.

Was ist Borderline?

Borderline nennt man eine Persönlichkeitsstörung, die meist im frühen Erwachsenenalter beginnt und unbehandelt erheblichen Leidensdruck für die Betroffenen und ihre Angehörigen mit sich bringt. Das wichtigste Merkmal der Erkrankung ist eine fundamentale Wechselhaftigkeit und Unsicherheit in Emotionen und Stimmungen, Selbstbild und Beziehungen. Deswegen spricht die Wissenschaft auch von einer „emotional instabilen Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs“ (abgekürzt BPS).

Psychotherapeutische Behandlung

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Borderline-Patienten empfinden positive Emotionen wie Freude und Zuneigung, aber auch negative Gefühle wie Schuld, Scham, Angst und Ohnmacht stärker als andere Menschen und erleben es oft als schwierig, ihre inneren gefühlsmäßigen Zustände zu kontrollieren.

Charakteristisch ist außerdem das Erfahren von intensiven inneren Anspannungen als Folge der Schwankungen in Gefühlshaushalt und Selbstwahrnehmung. Um etwas gegen diesen als unerträglich empfundenen Zustand zu tun, greifen Betroffene oft zu selbstgefährdenden Strategien wie:

  • Selbstverletzungen (Schneiden, Selbstverbrennungen)
  • Alkohol- und Drogenkonsum
  • Riskante Verhaltungsweisen wie Balancieren auf Brückengeländern oder Rasen auf der Autobahn

Da sich der Effekt dieser Entlastungshandlungen mit der Zeit abschwächt, ist oft eine Steigerung der Selbstgefährdung nötig – mit den daraus sich ergebenden negativen Konsequenzen.

Soziale Beziehungen gestalten sich für Menschen mit Borderline in der Regel schwierig. Sie leiden einerseits unter einer großen Angst, verlassen zu werden und streben sehr intensive Beziehungen an. Andererseits fürchten sie sich vor sozialer Nähe und stellen die Beziehungen durch Abwertungen, Aggressionen oder unvermittelte Zurückweisungen wieder in Frage. 

Borderline in Zahlen

  • Etwa 2,5 bis 3 Prozent der deutschen Bevölkerung sind betroffen.
  • Frauen und Männer erkranken etwa gleich oft. In psychologischer Behandlung sind jedoch etwa 70 Prozent der Patienten weiblich.
  • Auffallend ist eine hohe Suizidrate von 5–10 Prozent innerhalb von 15 Jahren und eine Selbstverletzungsrate von bis zu 80 Prozent.  

Woher stammt der Begriff Borderline?

Der Begriff Borderline, also Grenzlinie, stammt aus einer Zeit, als man versuchte, die Krankheit mit Kategorien der Psychoanalyse zu beschreiben. Damals galt Borderline als eine Art Grenzgebiet zwischen neurotischen und psychotischen Erkrankungen. Obwohl man die Erkrankung inzwischen nicht mehr als Verwandte der Schizophrenie, sondern als Persönlichkeitsstörung interpretiert, hat sich der Name gehalten und wird bis heute auch von der Weltgesundheitsorganisation genutzt.

Neun Anzeichen: Woran erkenne ich Borderline?

Borderline klar zu erkennen ist nicht ganz einfach, denn viele Symptome für Borderline finden sich auch bei anderen Störungen wieder.  Außerdem tritt die Störung oft mit Begleiterkrankungen wie Depressionen, Suchterkrankungen oder Angststörungen gemeinsam auf.

Das Borderline-Syndrom kann sich in vielen Facetten zeigen. So ist für eine Diagnose Erfüllung von mindestens fünf der folgenden neun Kriterien nötig:

  • Verzweifelte Angst vor dem Verlassenwerden
  • Ein Muster von instabilen und intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen
  • Ein instabiles Selbstbild
  • Selbstschädigendes Verhalten in mindestens zwei Bereichen (z.B. Geldausgeben, Sex, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, Essen)
  • Suizidpläne
  • Schnelle Stimmungswechsel wie starke episodische Niedergeschlagenheit, Reizbarkeit oder Angst
  • Chronisches Gefühl der Leere
  • Unangemessen starke Wut oder Schwierigkeiten, Ärger zu kontrollieren
  • Das Gefühl, nicht man selbst zu sein (Dissoziation) und vorübergehende paranoide Vorstellungen

Was sind die Ursachen für Borderline?

Sicher ist, dass sowohl genetische als auch lebensgeschichtliche Faktoren daran mitwirken, die Erkrankung auszulösen. Sexuelle Gewalterfahrungen, Misshandlung und Missachtung in der Kindheit spielt in einem Großteil der Patientenbiografien eine Rolle. Der Borderline-Experte und Präsident der Gesellschaft zur Erforschung und Therapie von Persönlichkeitsstörungen Birger Dulz hält das Nicht-Gesehen-Werden des Kindes für den letztlich entscheidenden Punkt, „eine familiäre Umgebung, die nicht haltend und schützend war und wo dem Kind nicht geglaubt wurde.“

Ähnlich wie bei einem Post-Traumatischen-Belastungssyndrom führen die negativen Erfahrungen der Kindheit bei Borderline-Persönlichkeiten zu sichtbaren Veränderungen im Gehirn. Hirnforscher konnten zum Beispiel zeigen, dass die für die Verarbeitung von Stress und Ängsten zuständige Hirnregion, die Amygdala, bei Borderline-Patienten kleiner als bei anderen Menschen ist und gleichzeitig gereizter reagiert.

Wie verhalten sich Betroffene?

Um sicher zu wissen, ob die Probleme deines Partners oder deiner Freundin tatsächlich Zeichen für diese Erkrankung sind, ist auf jeden Fall eine professionelle psychologisch-psychiatrische Diagnose nötig. Bei der Arztsuche können wir unterstützen.

Wenn du dir um eine nahestehenden Menschen Sorgen machst – oder auch in einer Beziehung mit ihm bist, die dich belastet, solltest du dir auf jeden Fall Hilfe zum Thema Borderline holen.

Anlass könnten zum Beispiel solche Erfahrungen und Beobachtungen bei deinem Partner, deiner Freundin oder deinem Familienmitglied sein:

  • Starke Gefühlsschwankungen zwischen Euphorie, Gereiztheit, Wut und Niedergeschlagenheit in kürzester Zeit und ohne angemessenen äußeren Grund
  • Unbegründete Angst vor dem Verlassenwerden
  • Selbstverletzendes Verhalten und Suizidandrohungen
  •  Extreme Schwankungen in eurer Beziehung nach dem Muster: „Ich hasse dich. Verlass mich nicht.“

Nach Bohus & Reicherzer erleben Menschen mit Borderline-Störungen „Gefühle heftiger und länger anhaltend als andere“. Das bedeutet, dass oft geringfügige Auslöser genügen, um sehr starke Gefühle hervorzurufen. „Wann immer ein Gefühl sehr stark ist, bestimmt es unser Denken und Handeln. Kein Wunder also, dass Menschen mit sehr starken Gefühlen, wie Borderline-Patienten, oft ‚seltsam‘ handeln – also nicht unbedingt so, dass die Umgebung immer sofort nachvollziehen kann, was die Betroffenen bewegt. Sind die Gefühle wieder abgeklungen, ist das eigene Verhalten dann oft schwer nachvollziehbar und oft peinlich."

Welche Hilfen und Therapiemöglichkeiten gibt es für Menschen mit Borderline?

Es gibt heutzutage wirksame Psychotherapien und damit auch eine hoffnungsvolle Perspektive für Menschen mit Borderline. Unterstützend und stabilisierend kommen auch bestimmte Medikamente zum Einsatz. Wichtig ist, dass die Störung frühzeitig erkannt, die richtigen therapeutischen Schritte eingeleitet werden. Je nachdem, welche Symptome besonders akut sind, werden verschiedene Therapieformen eingesetzt. Unter anderem:

  • Die dialektisch behavoriale Therapie (DTB): Sie behandelt die akuten Störungen der Verhaltenskontrolle wie selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität und erarbeitet mit den Patienten alternative Strategien zum Abbau der inneren Spannungen und Fertigkeiten zur Stresstoleranz und Selbstwertsteigerung.
  • Die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) stärkt die zu wenig vorhandene Fähigkeit, eigenes Erleben im intersubjektiven Kontext zu verstehen und die inneren Vorgänge bei anderen Menschen wahrzunehmen. 

Eine spezifische Borderline-Therapie dauert etwa ein bis drei Jahre. Die Prognose ist im Vergleich zu anderen schweren psychischen Erkrankungen recht gut: Bis 70 Prozent aller Therapierten erfüllen nach einer Behandlung nicht mehr die Kriterien einer Borderline-Störung.

Auch das Alter wirkt sich auf den Verlauf der Erkrankung günstig aus. Nach dem dreißigsten Lebensjahr stabilisiert sich die Situation oft, wenn Begleiterkrankungen wie Drogensucht oder Depressionen dem nicht entgegenwirken.

Wie kannst du als Partnerin oder Freund mit Borderline umgehen?

Eine Freundschaft oder eine Beziehung mit einem an Borderline erkrankten Menschen ist nicht einfach. Partner oder Freundinnen müssen oft erleben, wie sie in einem Moment idealisiert und auf Händen getragen und im nächsten Moment abgewertet, gekränkt oder zurückgewiesen werden. Hier besteht – je nach eigener emotionaler Verfasstheit – die Gefahr, in eine Beziehung zu geraten, die auch die eigene psychische Gesundheit in Gefahr bringt.

Dennoch sind gelingende Beziehungen bei Menschen mit Borderline nicht selten, betont Experte Birger Dulz. Eine Schlüsselrolle komme hierbei der begleitenden Therapie zu. Sie sei schlicht die notwendige Bedingung, denn die gestörten Beziehungsmuster, die zum Krankheitsbild Borderline gehören, müssten unbedingt bearbeitet werden, damit eine Beziehung gehalten werden kann.

Buch-Tipp

Martin Bohus und Markus Reicherzer: Ratgeber Borderline-Störung: Informationen für Betroffene und Angehörige

In der Therapie könnten Borderline-Patienten erstmals lernen, Vertrauen zu entwickeln, sich gesehen zu fühlen und gute Beziehungserfahrungen zu sammeln.  „Man kann sich das vorstellen wie eine Waagschale. In der einen sind die bisherigen Beziehungserfahrungen. Die sind traumatisch und bestimmen die aktuelle Beziehungsgestaltung. In der Therapie kommen dann gute Beziehungserfahrungen in die andere Waagschale. Und je mehr davon, auch private gute Beziehungserfahrungen, dort hineinwandern, umso weniger relevant werden die traumatischen Erfahrungen.“ 

Du stehst einem Menschen mit Borderline nahe? Damit bist du eine wichtige Stütze für seinen Heilungsprozess. Vergiss dabei aber nicht, auch an dich und deine Bedürfnisse zu denken.

Das kannst du tun, um in dieser schwierigen Zeit auf dich aufzupassen:

  • Definiere deine Grenzen. Entscheide, welche Belastungen du akzeptieren möchtest und welche nicht. 
  • Sorge gut für dich. Achte auf ein positives Selbstgefühl. Dabei helfen können neben gutem Essen, ausreichend Schlaf und viel Bewegung auch unsere umfangreichen Präventionsangebote.
  • Sprich mit anderen Betroffenen, beispielsweise in Selbsthilfegruppen, erleben Angehörige häufig als sehr hilfreich.
  • Wenn dich die Situation stärker belastet und du Hilfe brauchst, nutze auch unser Angebot DAK veovita, um dich selbst therapeutisch unterstützen zu lassen.  


Autor(in)

Journalistin für Medizin und Gesundheitsthemen

Quellenangaben

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