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75.000 Niedersachsen dopen für den Job

06. Mai 2015. Hirndoping im Job: Rund 75.000 Beschäftigte in Niedersachsen nutzen regelmäßig verschreibungs-pflichtige Medikamente, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen. Das geht aus dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport 2015 hervor. Die Studie zeigt auch die Entwicklung der Fehlzeiten bei den psychischen Erkrankungen. Sie nahmen im vergangenen Jahr um acht Prozent zu und rückten damit auf Platz zwei der Gründe für Ausfallzeiten in Niedersachsen. Insgesamt blieb der Krankenstand gegenüber dem Vorjahr unverändert. Er lag 2014 mit 3,9 Prozent genau im Bundesdurchschnitt.

Für die repräsentative Studie wertete das IGES Institut die Fehlzeiten aller erwerbstätigen DAK-Mitglieder in Niedersachsen aus. Es wurden zudem Arzneimitteldaten der Kasse analysiert und bundesweit mehr als 5.000 Beschäftigte im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt. Demnach haben sich sieben Prozent der Berufstätigen in Niedersachsen und den angrenzenden Bundesländern im Norden schon einmal gedopt – mit Dunkelziffer sogar bis zu 12,5 Prozent. Hochgerechnet auf die Erwerbstätigen in Niedersachsen sind das bis zu 492.500 Menschen, die schon einmal leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente genommen haben. Derzeit betreiben etwa 75.000 Erwerbstätige in Niedersachsen regelmäßig und gezielt Hirndoping. „Auch wenn Doping im Job noch kein Massenphänomen ist, sind diese Ergebnisse ein Alarmsignal“, warnt Regina Schulz, Landeschefin der DAK-Gesundheit in Niedersachsen. „Nebenwirkungen und Suchtgefahr sind nicht zu unterschätzen. Deshalb müssen wir auch beim Thema Gesundheit vorausschauen und über unsere Wertvorstellungen und Lebensstilfragen diskutieren.“

Grauzone bei den Verordnungen
Fast Dreiviertel aller Niedersachsen kennen den vermeintlichen Nutzen des Hirndopings. Häufig werden dafür Betablocker und Antidepressiva eingesetzt, aber auch Wachmacher und ADHS-Pillen – Medikamente also, die eigentlich zur Behandlung von Krankheiten verschrieben werden. In Niedersachsen stieg zum Beispiel die Zahl der DAK-Versicherten, die von ihrem Arzt eine Methylphenidat-Verordnung (Ritalin) erhalten haben, von 2011 bis 2013 um 55 Prozent an. Methylphenidat ist zur Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen zugelassen. Für 7,3 Prozent der DAK-Versicherten, die dieses Medikament bekamen, konnte die Kasse in den Behandlungsdaten aber keine Hinweise auf ADHS finden. Auffällig auch das Medikament Modafinil. Gedacht ist es zur Behandlung der seltenen Schlafkrankheit: Die Verordnungsraten für das Stimulanz stiegen um 82 Prozent an, doch jedes zwölfte Rezept blieb ohne nachvollziehbare Diagnose. „Die Ergebnisse unseres Reports zeigen, dass es eine deutliche Grauzone bei den Verordnungen gibt. Wir vermuten, dass aus dieser Grauzone ein Teil der zur Leistungssteigerung missbrauchten Medikamente stammt“, sagt Schulz.

Männer wollen mehr Leistung
Auslöser für den Griff zur Pille sind meist hoher Leistungsdruck sowie Stress und Überlastung. Männer greifen eher zu leistungssteigernden Mitteln, Frauen nehmen häufiger stimmungsaufhellende Medikamente ein. Entgegen der landläufigen Meinung sind es nicht primär Führungskräfte oder Kreative, die sich mit Medikamenten zu Höchstleistungen pushen wollen. Der DAK-Report zeigt, dass vor allem Erwerbstätige mit einfachen Jobs gefährdet sind. Auch Beschäftigte mit einem unsicheren Arbeitsplatz haben ein erhöhtes Doping-Risiko. „Hirndoping ist mittlerweile bei ‚Otto Normalverbraucher‘ angekommen, um den Arbeitsalltag besser zu meistern. Das Klischee der dopenden Top-Manager ist damit vom Tisch“, so Schulz.

Krankenstand: Anstieg der psychischen Erkrankungen
Der DAK-Gesundheitsreport untersucht auch den Krankenstand in Niedersachsen. Er lag 2014 mit 3,9 Prozent auf Vorjahresniveau. Das heißt, es waren von 1.000 erwerbstätigen Arbeitnehmern in Niedersachsen im Schnitt pro Tag 39 krankgeschrieben, genauso viele wie bundesweit. Ein Beschäftigter fehlte in Niedersachsen an durchschnittlich 14,2 Tagen im Job. Für fast ein Viertel dieser Ausfalltage (24,2 Prozent) waren Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems verantwortlich, beispielsweise Rückenschmerzen. An zweiter Stelle kamen psychische Erkrankungen mit 16,5 Prozent. Bei dieser Krankheitsart gab es 2014 einen Anstieg von acht Prozent. Allein die Ausfalltage aufgrund von Depressionen nahmen um etwa ein Fünftel zu. Dagegen sank die Zahl der Fehltage wegen Atemwegserkrankungen im Vergleich zum Vorjahr um ein Viertel. Atemwegserkrankungen landeten mit einem Anteil von 12,5 Prozent am Krankenstand auf Platz drei.

Die Branchen mit dem höchsten Krankenstand waren 2014 das Gesundheitswesen mit 4,5 Prozent und die Öffentliche Verwaltung mit 4,4 Prozent. Den niedrigsten Krankenstand hatten Banken und Versicherungen sowie der Wirtschaftszweig Bildung, Kultur und Medien mit jeweils 3,0 Prozent.

Die DAK-Gesundheit ist die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands. Für die Analyse wurden die Daten von rund 264.600 erwerbstätigen DAK-Mitgliedern in Niedersachsen durch das IGES Institut ausgewertet.

In unserem jährlichen Landesreport analysieren wir die Daten zur Arbeits-unfähigkeit aller bei der DAK-Gesundheit versicherten Berufstätigen. Wir bieten damit einen umfassenden Überblick über das Krankheitsgeschehen in der Arbeitswelt. Niedersachsen hatte 2014 mit 3,9 Prozent einen Krankenstand, der auf Bundesniveau liegt. Er hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht verändert.

Der DAK-Report zeigt, welche Gesundheitsprobleme für den Kranken-stand besonders wichtig sind: In Niedersachsen wird knapp ein Viertel aller Fehltage durch Muskel-Skelett-Erkrankungen verursacht und ein Sechstel  durch psychische Leiden. Und der Report dokumentiert, welche Branchen mit den Fehltagen ihrer Mitarbeiter über dem Landesschnitt liegen. Aus diesen Daten der einzelnen Diagnosen und Branchen ergeben sich für uns wichtige Ansatzpunkte für die Prävention in den Betrieben. Sollte der derzeitige Entwurf zum Präventionsgesetz verabschiedet werden, so werden sich die finanziellen Mittel, die wir als Kassen für diese Aufgabe bereitstellen, noch einmal deutlich erhöhen.

Die Anforderungen in der Arbeitswelt sind hoch. Und viele Berufstätige gehen regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Wobei in unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft weniger die körperliche Leistungsfähigkeit entscheidend ist, sondern vielmehr die geistige: Neues schnell erfassen, hochkonzentriert arbeiten, positive Gefühle Fremden gegenüber ausdrücken – manch einer wünscht sich ein Wundermittel, damit der Job leichter von der Hand geht. Tatsächlich nehmen auch viele Erwerbstätige in Niedersachsen verschreibungspflichtige Medikamente zum Aufputschen oder zum Stimmungsaufhellen. Experten nennen das pharmakologisches Neuro-Enhancement – kurz Hirndoping.

Fazit von Regina Schulz:
Auch wenn Doping im Job noch kein Massenphänomen ist: 75.000 Niedersachsen, die regelmäßig dopen sind ein Alarmsignal. Damit die Beschäftigten auch bei Leistungsdruck langfristig Gesund-bleiben, ist Aufklärung zu dem Thema wichtig. Die Suchtgefahren und Nebenwirkungen des Hirndopings sind nicht zu unterschätzen.

Eine Wunderpille gibt es nicht. Oft zeigen die Medikamente bei Gesunden nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Demgegenüber stehen hohe gesundheitliche Risiken, wie körperliche Nebenwirkungen bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen und Abhängigkeit. Den Berufstätigen, die regelmäßig Hirndoping betreiben, fehlen zudem auf Dauer wertvolle Ruhe- und Erholungsphasen. Wer sich immer wieder hochpusht, überfordert sich selbst und entwickelt möglicherweise am Ende eine Erschöpfungsdepression. Auch davor müssen wir als Krankenkasse warnen.

Hirndoping ist mittlerweile bei „Otto-Normalverbraucher“ angekommen. Das Klischee der dopenden Top-Manager ist vom Tisch. Ich hoffe, dass wir in unserer Gesellschaft eines Tages zu dem Konsens kommen, dass Doping am Arbeitsplatz – wie im Sport – ein Irrweg ist.

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