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117.000 Bayern dopen sich regelmäßig für den Job

28. April 2015. Hirndoping im Job: 117.000 Beschäftigte in Bayern nutzen regelmäßig verschreibungs-pflichtige Medikamente, um am Arbeitsplatz leistungsfähiger zu sein oder Stress abzubauen. Das geht aus dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport 2015 hervor. Die Studie zeigt auch die Entwicklung der Fehlzeiten bei den psychischen Erkrankungen. Sie nahmen im vergangenen Jahr um zehn Prozent zu und rückten damit erstmals auf Platz zwei der Gründe für Ausfallzeiten in Bayern. Insgesamt blieb der Krankenstand stabil. Er lag mit 3,4 Prozent deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 3,9 Prozent.

Für die repräsentative Studie wertete das IGES Institut die Fehlzeiten aller erwerbstätigen DAK-Mitglieder in Bayern aus. Es wurden zudem Arzneimitteldaten der Kasse analysiert und bundesweit mehr als 5.000 Beschäftigte im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt. Demnach haben sich 7,2 Prozent der Berufstätigen in Bayern schon einmal gedopt – mit Dunkelziffer sogar bis zu 12,9 Prozent. Hochgerechnet auf die Erwerbstätigen in Bayern sind das 926.000 Menschen, die schon einmal leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente genommen haben. Derzeit betreiben etwa 117.000 der Erwerbstätigen in Bayern regelmäßig und gezielt Hirndoping. „Auch wenn Doping im Job noch kein Massenphänomen ist, sind diese Ergebnisse ein Alarmsignal“, warnt Gottfried Prehofer, Landeschef der DAK-Gesundheit in Bayern. „Nebenwirkungen und Suchtgefahr sind nicht zu unterschätzen. Deshalb müssen wir auch beim Thema Gesundheit vorausschauen und über unsere Wertvorstellungen und Lebensstilfragen diskutieren.“

Grauzone bei den Verordnungen
70,9 Prozent der Bayern kennen den vermeintlichen Nutzen des Hirndopings. Häufig werden dafür Betablocker und Antidepressiva eingesetzt, aber auch Wachmacher und ADHS-Pillen – Medikamente also, die eigentlich zur Behandlung von Krankheiten verschrieben werden. In Bayern stieg zum Beispiel die Zahl der DAK-Versicherten, die von ihrem Arzt eine Methylphenidat-Verordnung (Ritalin) erhalten haben, von 2011 bis 2013 um 68 Prozent an. Methylphenidat ist zur Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen zugelassen. Für knapp neun Prozent der DAK-Versicherten, die dieses Medikament bekamen, konnte die Kasse in den Behandlungsdaten aber keine Hinweise auf ADHS finden. Auffällig auch das Medikament Fluoxetin: Die Verordnungsraten für das Antidepressivum stiegen um sieben Prozent, doch jedes vierzehnte Rezept blieb ohne nachvollziehbare Diagnose. „Die Ergebnisse unseres Reports zeigen, dass es eine deutliche Grauzone bei den Verordnungen gibt. Wir vermuten, dass aus dieser Grauzone ein Teil der zur Leistungssteigerung missbrauchten Medikamente stammt“, sagt Prehofer.

Männer wollen mehr Leistung
Auslöser für den Griff zur Pille sind meist hoher Leistungsdruck sowie Stress und Überlastung. Männer greifen eher zu leistungssteigernden Mitteln, Frauen nehmen häufiger stimmungsaufhellende Medikamente ein. Entgegen der landläufigen Meinung sind es nicht primär Führungskräfte oder Kreative, die sich mit Medikamenten zu Höchstleistungen pushen wollen. Der DAK-Report zeigt, dass vor allem Erwerbstätige mit einfachen Jobs gefährdet sind. Auch Beschäftigte mit einem unsicheren Arbeitsplatz haben ein erhöhtes Doping-Risiko. „Hirndoping ist mittlerweile beim ‚Otto Normalverbraucher‘ angekommen, um den Arbeitsalltag besser zu meistern. Das Klischee der dopenden Top-Manager ist damit vom Tisch“, so Prehofer.

Krankenstand: Anstieg der psychischen Erkrankungen
Der DAK-Gesundheitsreport untersucht auch den Krankenstand in Bayern. Er blieb gegenüber dem Vorjahr unverändert und lag bei 3,4 Prozent. Das heißt, 2014 waren von 1.000 erwerbstätigen Arbeitnehmern in Bayern im Schnitt pro Tag 34 krankgeschrieben, im Bund waren es 39. Ein Beschäftigter fehlte in Bayern an durchschnittlich 12,4 Tagen im Job. Für mehr als ein Fünftel dieser Ausfalltage (22,5 Prozent) waren Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems verantwortlich, beispielsweise Rückenschmerzen. Die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen, wie Depressionen und Angstzustände, stiegen um zehn Prozent an und lagen mit 15,5 Prozent der Ausfalltage auf Platz zwei der Krankheitsarten. Die Zahl der Fehltage in diesem Bereich erhöhte sich auf 193 Tage pro 100 DAK-Versicherte – seit dem Jahr 2000 ein Anstieg um 86 Prozent. Dagegen sank die Zahl der Fehltage aufgrund von Atemwegserkrankungen im Vergleich zum Vorjahr deutlich um 18 Prozent. Atemwegserkrankungen landeten mit einem Anteil von 13,7 Prozent am Krankenstand knapp hinter den Verletzungen (13,8 Prozent) auf Platz vier.

Die Branchen mit dem höchsten Krankenstand waren 2014 das Gesundheitswesen mit 4,1 Prozent und die Öffentliche Verwaltung mit 3,9 Prozent. Den niedrigsten Krankenstand hatte der Wirtschaftszweig Bildung, Kultur, Medien mit 2,3 Prozent.

Die DAK-Gesundheit ist die drittgrößte Krankenkasse Deutschlands. Für die Analyse wurden die Daten von knapp 368.000 erwerbstätigen DAK-Mitgliedern in Bayern durch das IGES Institut ausgewertet.

In unserem jährlichen Landesreport analysieren wir die Daten zur Arbeits-unfähigkeit aller bei der DAK-Gesundheit versicherten Berufstätigen. Wir bieten damit einen umfassenden Überblick über das Krankheitsgeschehen in der bayerischen Arbeitswelt. Im Freistaat bewegt sich der Krankenstand auf einem gleichmäßigen und niedrigen Niveau. Für 2014 lag er bei 3,4 Prozent und damit erneut deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 3,9 Prozent.

Der DAK-Report zeigt, welche Gesundheitsprobleme für den Kranken-stand besonders wichtig sind: In Bayern sind es neben den Muskel-Skelett-Beschwerden die psychischen Erkrankungen. Und der Report dokumentiert, welche Branchen mit den Fehltagen ihrer Mitarbeiter über dem Landesschnitt liegen. Aus diesen Daten der einzelnen Diagnosen und Branchen ergeben sich für uns wichtige Ansatzpunkte für die Prävention in den Betrieben. Sollte der derzeitige Entwurf zum Präventionsgesetz verabschiedet werden, so werden sich die finanziellen Mittel, die wir als Kassen für diese Aufgabe bereitstellen, noch einmal deutlich erhöhen.

Die Anforderungen in der Arbeitswelt sind hoch. Und viele Berufstätige gehen regelmäßig an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Wobei in unserer modernen Dienstleistungsgesellschaft weniger die körperliche Leistungsfähigkeit entscheidend ist, sondern vielmehr die geistige: Neues schnell erfassen, hochkonzentriert arbeiten, positive Gefühle Fremden gegenüber ausdrücken – manch einer wünscht sich ein Wundermittel, damit der Job leichter von der Hand geht. Tatsächlich nehmen auch viele bayerische Erwerbstätige verschreibungspflichtige Medikamente zum Aufputschen oder zum Stimmungsaufhellen. Experten nennen das pharmakologisches Neuro-Enhancement – kurz Hirndoping.

Wir haben das Phänomen bereits in unserem Gesundheitsreport 2009 untersucht. Die Fachwelt und die Öffentlichkeit haben diese Untersuchung mit großem Interesse aufgenommen. Jetzt haken wir nach und stellen Ihnen unser Update vor: Warum dopen Arbeitnehmer? Und zu welchen Mitteln greifen sie? Sind die erheblichen Gesundheitsrisiken und das Suchtpotenzial bekannt?

Wir haben umfangreiche Arzneimitteldaten ausgewertet, namhafte Experten befragt und neueste Einstellungen in der Bevölkerung ermittelt. Ein vergleichbar breit angelegtes Update hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Herr Marschall vom IGES Institut wird Ihnen jetzt die Ergebnisse erläutern und die Daten zum Krankenstand präsentieren.

Unser Fazit von Gottfried Prehofer:
Auch wenn Doping im Job noch kein Massenphänomen ist: rund 117.000 Bayern, die regelmäßig leistungssteigernde oder stimmungsaufhellende Medikamente schlucken, sind ein Alarmsignal. Damit die Beschäftigten auch bei Leistungsdruck langfristig Gesundbleiben, ist Aufklärung zu dem Thema wichtig. Die Suchtgefahren und Nebenwirkungen des Hirndopings sind nicht zu unterschätzen.

Eine Wunderpille gibt es nicht. Oft zeigen die Medikamente bei Gesunden nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit. Demgegenüber stehen hohe gesundheitliche Risiken, wie körperliche Nebenwirkungen bis hin zu Persönlichkeitsveränderungen und Abhängigkeit. Den Berufstätigen, die regelmäßig Hirndoping betreiben, fehlen zudem auf Dauer wertvolle Ruhe- und Erholungsphasen. Wer sich immer wieder hochpusht, überfordert sich selbst und entwickelt möglicherweise am Ende eine Erschöpfungsdepression. Auch davor müssen wir als Krankenkasse warnen.

Hirndoping ist mittlerweile beim „Otto-Normalverbraucher“ angekommen. Das Klischee der dopenden Top-Manager ist vom Tisch. Ich hoffe, dass wir in unserer Gesellschaft eines Tages zu dem Konsens kommen, dass Doping am Arbeitsplatz – wie im Sport – ein Irrweg ist.

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